Tomás Cohen: Zwei Gedichte
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Tomás Cohen
Zwei Gedichte aus Un árbol de luz íntima
übersetzt aus dem Spanischen (Chile) von Odile Kennel
Die Kindmutter
Die Beine des wilden, gesprächigen
Mädchens, blaue Flecken
vom Stromern zwischen Brombeersträuchern, Zäunen,
sind weißliche Furchen,
sie würden noch an jeder Bronzeskulptur auf das Original
aus Kreide verweisen.
aus Kreide verweisen.
Ich will auch dreckige Wangen, Mädchen,
und vom
Brombeergestrüpp auf Knöchel verfasste Abenteuer,
will nackte Füße
auf einem Schwamm
aus vollgesogenem Moos.
Und jaulend auch,
vom höchsten Ast aus, der mich hält,
Und jaulend auch,
vom höchsten Ast aus, der mich hält,
den Schwarm
verscheuchen,
zerhackter
Schatten, verstreute Würfel,
die kommende
Generation erreichen.
Du bist dreizehn,
es ist Nacht
und zufällig
erlischt das Licht: Stromausfall,
der diesen Sommer
in deiner Erinnerung erhellt
für den Rest
deines Lebens.
Du schleppst einen Stuhl auf den Innenhof
Du schleppst einen Stuhl auf den Innenhof
und saugst noch
mehr Sterne auf ,
zitterst stärker jeden Augenblick,
Sternbilder aus Obstbäumen im Wind:
ihr Takt aus Maulbeeren, Hagebutten –
zitterst stärker jeden Augenblick,
Sternbilder aus Obstbäumen im Wind:
ihr Takt aus Maulbeeren, Hagebutten –
dein Herzschlag.
Diese Nacht, Mädchen,
schmeckt nach dem
Wissen,
dass du meine
Lieblingszutat bist:
Auf kleiner
Flamme, mit Rückwärtsrezeptur,
mache ich dich zu
meiner Mutter, um diesen Rhythmus
pulsieren zu hören,
ich, Maulbeerkeim, eingerollt im
Nebel der Gebärmutterschleimhaut.
Süß soll sie sein
Schlupfwinkel
soll sie sein.
Ich werde aus ihr
geboren
aber nicht in der
Zukunft:
Denn vielleicht
ist das wilde Mädchen
schon meine
Mutter in diesem Leben,
und diese Nacht
mit Stromausfall und groß von Sternen
hat meine Mutter mir erzählt.
hat meine Mutter mir erzählt.
Prolog zum Schluss
Für wenn ich tot
bin, und weil
ich tot sein
werde, und dafür, dass Leben
und Lesen
aufgehen und ich berausche – lade ich ein
weil ich womöglich
vergesse,
dass ich vor
Dankbarkeit geweint habe und es kalt sein wird …
Was weiß ich! Ich
lade ein
zu der Lust,
nicht zu wissen, nur um
immer neu zu
wissen, ein erstes allgegenwärtiges
Mal, das Angst
macht.
Weil manchmal die
Lieder, die wir brauchen
sich verstecken,
sogar auf der Zungenspitze,
komm einfach, wir
vermengen unsere Momente.
Lass uns einer
Musik nachreisen, lass uns
unwissend sein,
was aufs gleiche rauskommt,
wenn es die Mühe
wert ist, wird es Mühe geben.
Berühr den
lebendigen Trilobiten
und diese Seite
wird dir die Hand lecken.
Ich lade ein.
Keine Ahnung! Man sieht es nicht, geh
und zerschlage irgendeine Idee, beispielsweise
und zerschlage irgendeine Idee, beispielsweise
mit einer Schaufel
neben dem Bett,
die du zuerst
ertastest beim Aufstehen. Und ohne
den Lehren des
Lachens auszuweichen, des Niesens,
komm her durch
die verästelten Nerven in dir,
von den vielen
Zweigen zu den vielen Wurzeln,
zu dieser Stimme,
die sich noch einsingt,
zu unserer
Vereinigung in den Fragen,
aufgefädelt im
Zentrum einer Drehung.
Ich verstecke
hier meine Absichten nicht:
werde sie mit dem
ganzen Körper aufsagen.
Diese Gegenwart
im Dickicht,
Lungenroman,
wo ich mich
verabschiede, Ungeheuer,
wo ich dich
einfordere, mein Freund.
Genau, zeig mir
das Schlimmste,
was du je getan hast,
und wir werden
Geschwister.