Timo Krstin: Mitlesebuch 143 - Niederschlagsarten
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Timo Brandt
Den Anschein geben
„und was der Tagmal war – mein Wortschatz ist er jetzt“
Ich mag diesen Wortschatz, dieses Vokabular, das bei Timo Krstin zum Einsatz kommt, eigentlich. Nur bin ich mir über die Einsätze selbst, die Zusammenstellungen, nicht sicher, über deren Ziele, deren Bewegung. Die Gedichte irritieren mich, sind konkret und unkonkret zugleich.
Schon der Titel und die darin liegende Beschwörung lässt eine Fülle von möglichen Ausformungen erahnen; unter „niederschlagsarten“ kann ich mir allerlei vorstellen: Melan-cholisches, Akribisches, Dokumentarisches, Sarkastisches, Polemisches.
Bekommen tut man aber vor allem, so erscheint es zunächst, Rhetorisches. Alles liegt in einer sonderbaren Sprechschräg-lage, scheint auf eine bestimmte Art der Kommunikation geeicht zu sein, von der die Gedichte nicht abweichen und beinhaltet eine seltsame Ironie-/Anklagehaltung. Seltsam deshalb, weil man nicht genau sagen kann, ob sie dem Gedicht bloß hier und da übergestreift wurde, nur mitschwingt, oder tief, vom Kern her, daraus hervorwächst.
„an schroffen Tagen rollt Glimmerdurch die Straße, das entfernteImitat funkelnder Bergseen in Stein,und Feldspat und Quarz rückennach“
Ich versuchte während der Lektüre diesen Eindruck
abzuschütteln und mich auf das Anschauliche in den Gedichten, die Bilder, zu
konzentrieren – und schon fand ich mich, wiederum, in Gegenden wieder, die mit
unklaren Dimensionen an mich herantraten, ihre Momente chiffriert zum Besten
gaben, sie mir als einen Mix aus Vertraulichem, Invasivem und Zurückhaltendem
präsentierten.
Im Zuge dieser Präsentation fiel es mir schwer,
einzuschätzen, wie groß diese Gedichte eigentlich sein, wie weit sie eigentlich
reichen wollen. Es ist vielleicht eine Erfahrung, die man allein aufgrund meiner
Schilderung nicht wirklich nachvollziehen kann; es klingt wie ein ausgedachtes
oder zweitrangiges Problem – oder, noch schlimmer, als wollte ich den Gedichten
aus ihren ambivalenten Qualitäten, ihrer lyrischen Verdichtung, einen Strick
drehen.
„unddie Ecken und die Kanten einer Siedlung,deren Gras in Punkten wächst, Bild-punkten, führen durch ein Labyrinthzum Altenheim am Ende eines Lebens“
Das liegt mir fern. Ich will vor allem betonen, dass ich
keinen wirklichen Zugang zu den Gedichten fand und bei der Frage, woran das
liegen könnte (meist verpassen ja die Leser*innen den Text und nicht er sie),
immer wieder auf diese Unklarheit stieß, die Frage: wie greift in dieser Struktur
das eine Wort in das andere? Welche Emotionen werden davon angetrieben und
färben das Gedicht, dessen Korpus ich einfach nicht scharfgestellt kriege.
Was ich immer wieder erhaschen konnte, waren Ausblicke auf
und Einblicke in die Vergänglichkeit. Sie ist, so kann man – denke ich – getrost
sagen, eines der zentralen Themen dieser Gedichte. Der Fortgang des Lebens
schlägt sich eben nieder und schwingt
sich nur selten auf. Mit ihm schlägt sich auch die Welt nieder und ihr Gesetz
ist das „Ausheben der Körper und Seelen bis hin zur Leere“ wie die arabische
Dichterin Lamia Abbas Imara schrieb.
Und so zeigt sich auch in Krstins Gedichten, dass die Welt
vor allem und zu guter Letzt auseinanderfällt, in einzelne Hoffnungen, einzelne
Momente, Einzelteile generell und Enden, viele Enden, die, selbst wenn man sie
verknotet mit neuen Strängen, letztlich zurückbleiben.
„heute erzählen sich die Alten,dass der See einmal zugefrorenwar. da trug das Wasser ihre Füße,und es blieb unwichtig, werwovon erzählte. nur die reine Kältefror den Atem an den Horizont. undheute, wo die Kappen schmelzen unddas Eis in alten Texten undArtikeln existiert, verwehen ihreStimmen mit dem lauen Föhn, der auchim Winter von den Bergen fällt“
Krstin findet immer wieder heftige, seine Gedichte etwas überschattende
Titel – und schöne Endsätze; seine Schlusspunkte erfüllen seine Gedichte mit
einer Glut, bei der man sich denkt: da muss ein Feuer drin gewesen sein, wieso
habe ich es verpasst? Womit wir wieder bei meiner Kritik angelangt sind, die
ich immer noch zu formulieren versuche, ohne dass es so klingt, als würde ich
einfach nur meine Ratlosigkeit artikulieren.
Dann und wann habe ich das Gefühl, dass die Texte ihre
Gegenstände etwas zu sehr drängen, zu sehr auswalzen wollen und manchmal auch zu
unruhig agierenden Fäden folgen, anstatt auf das Potenzial ihrer anfänglichen
Darstellung aufzubauen.
Ein Gedicht beginnt bspw. mit der Beschreibung einer
Unterführung, die
„unter der Hautzwei Herzkammern unserer Stadt verbindet,und den Rest überflügelt das Gleich-förmige der Brücken“
eine schöne Beschreibung eigentlich, dicht, wenn auch nicht
wirklich innovativ, dieses Bild von den Passanten, die die Blutkörperchen in
den Adern der Städte sind. Spannend allerdings, wie hier die Brücken zu einer
Art „Übergang“ werden, wie ihnen etwas Körperloses, Überflügelndes angedichtet
wird. Dann aber fährt das Gedicht in einer derart heftigen und um sich
greifenden Art und Weise fort, die, für mich, die Schwebe und Spannung des
Anfangsbildes untergräbt:
„wer sich nichtgemein macht mit denen, die runter spucken,zuckelt aus Prinzip durch die Tunnelröhre, wodie Sekrete der Städter liegenbleiben,an den Wänden, ein Gemälde aus Rotz,zeigt eine Szene der ätzenden Komödie,unsren Abstieg, unterstrichen mit Pisseauf Höhe der Beine […]
Ein starker Wortschatz, aber ein seltsamer Mix.
Manchmal habe ich zusätzlich das Gefühl, dass die
herrschende Wirklichkeit in den Gedichten noch fassbarer gemacht, noch
durchschlagender hervorgehoben werden soll, auf allen (Sinnes)Ebenen. Das führt
mal zu schnellenden und mal zu sehr langsamen Tempi, und mitunter ist es schon
beeindruckend, auf welche Weise Krstin Sprache für seine Schilderungen zurechtbiegt
und staucht. Aber manchmal wirkt es auch ausgesprochen verquer, mitunter
haltlos.
„an meinem Tisch sitzt morgensein Traum. aufgeputzt und inFedern gehüllt, bleibt manchmalkein Platz für mich.“
Nichtdestotrotz gibt es einige Lichtmomente und man darf mir
darüber hinaus auch ruhig den Vorwurf des Geschmacksurteils machen;
zurückweisen könnte ich ihn nicht. Vielleicht unterschätze ich die
widerspenstige Gestalt dieser Gedichte, bin nicht offen genug für das Spaltende
und Unbequeme darin, das ihnen eigentlich eine besondere Note verleiht. Und
wenn ich sie nun, abschließend, Gedichte nenne, deren wichtigstes Element
meiner Ansicht nach der „Anschein“ ist, meine ich damit: sie nehmen sich den
Anschein als solchen zur Brust, aber sie wahren auch ihren eigenen
Anschein.
„komplexe Aufgaben, wie Krümel imBett aufpicken, Fussel von schlaf-losen Dunkelperioden, die nichtzu überdecken sind mit siebenMatratzen“
Timo Krstin: Mitlesebuch 143 - Niederschlagsarten. Gedichte. München (Aphaia Verlag) 2018. 58 S. 9,90 Euro.