Timo Brandt: Wiegenlied für Joseph Brodsky
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Timo Brandt
Wiegenlied für Joseph Brodsky
Am Hafen stieben
die Gedanken auseinander, Böen,
verwehend das
Mobile der Gefühle, die Panzerradspuren des Glaubens,
die
Schmetterlinge der Demut: unkontrolliert und doch
sanft,
Handstreichen unterlegen, eingefangen, angepinnt. Fließend nur
das Wasser.
Es verlaufen im
Rauschen, Fließen, Schwappen, Kreisen
die Gedanken,
Wellen, keine Fotos, Mosaike,
rillenhaftend;
keine Mythenbildung, außer der eigenen, keine
Akzente des
Daseins, die im Ankommen verblassen.
Du – eine
Ankunft mehr, eher abgeleitetes Dasein,
der Wellen
Päpstlichkeit wirft deine Stimme auf, zurück.
Hinaus aufs
Meer? Du: eine Auskunft. Wann ist Abfahrt?
Leerer ist die
Zukunft als das Daseinsstichwort: mehr.
Es leert sich
die Fülle zum Flutstrand: kein
Schlag der
Wellen ist dein, klein
und karg im
Verlaufen – über dem Rieb
des Sandes
Beweise von Bewegung.
Keine Antwort,
du, nur Federgewicht,
seltsam segelnd
auf der Zeit, Empfinden im Bauch.
Abgewandt,
hinter den Räumen weiterlaufend:
ein
Fischmaultrinken an der Ewigkeit.
Du, ein Name,
keine Auskunft; noch mehr
führt ins
Nichts. Dein Ertragen ehrt das Bewegte,
dem Meer
bedeutet es nichts. Die Wellen:
eine lange
Eingabe, die sich an deiner Stelle unterbricht.
Und schweigen,
solange du ankommst. Für dich, solange
du zuhörst.
Unwillkürlich ist es das Einzige
und das
Hundertfache, das Arge, das Nachlassende.
Der Fluchtpunkt
im Mund, mit dem du lachst.
Kaiser und
Könige mögen errichten; Gesichter
als Tau. – Als
Regen, der keine Wellen hat, keine Zeit, doch:
jene Ankunft,
die deinem Kopf unpässlich ist,
deine Seele
versammelt unterm Segel. Und fragt: was,
was
könnte…
Aus Timo Brandt: nicht die Hymnen, die ihr sucht. Gedichte. Dortmund (edition offenes feld) 2020. 136 Seiten. 17,00 Euro.