Timo Brandt: Enterhilfe fürs Universum
Dirk Uwe Hansen
Suchscheinwerfer
Ich sage es lieber gleich: Ich habe Enterhilfe fürs Universum mit einigen (präzise gesagt 3) Vorbehalten zu lesen begonnen. Nicht, dass ich im Voraus nicht schon gewusst hätte, dass Brandt gute Gedichte schreiben kann (fixpoetry.com sei Dank), aber:
Ein Debut von über einhundert Seiten macht misstrauisch, vor allem, wenn es von einem 1992 geborenen Autor stammt; muss einer da nicht wirklich alles zusammenkratzen, was er je aufgeschrieben hat?
James Joyce, Ted Hughes, Sylvia Plath, Anna Achmatowa, Anne Sexton, Lars Gustafsson, Blaise Cendrars…; muss einer wirklich jeden, den/die er je gelesen hat, bedichten?
Wald und Winter, Sonnenstrahlen und Garten, viele der Gedichte scheinen sehr traditionell in der Wahl ihres Themas, und doch erscheinen die Texte, besonders im ersten Zyklus, oft in der Form wild über die Seiten verstreuter Zeilen; hat da jemand einem alten Hut eine neue Krempe angenäht und hält ihn nun für nie dagewesen modern?
Naja, Lesen hilft natürlich gegen Vorurteile, und wenn meine Vorbehalte sich bewahrheitet hätten, hätte ich sie gewiss weniger herablassend formuliert.
Denn bei näherem Hinsehen zeigt es sich, dass Brandt eben nicht eine manierierte Form erfindet, um sie dann mit irgendeinem Inhalt zu füllen; vielmehr entsteht diese Form vor den Augen des erfreut staunenden Lesers aus der Bewegung des Gedichts oder vielmehr dem Prozess des Dichtens selbst (hiervon später mehr).
Auch die vielen AutorInnen, die uns in den Gedichten begegnen, dienen nicht als die Texte aufwertende Chiffren oder wohlfeile aufmerksamkeitsheischende Bezugspunkte, vielmehr halte ich Brandts Texte für Annäherungs-bewegungen, die notwendigerweise (Brandt scheint wirklich in Gedichten zu denken) die Form von Gedichten annehmen.
Prometheus, heimgesucht von der Seele Anne Sextons, liegt im Gras
Ich, geblieben. Nur eine Figur, untertrieben.
Reiche gingen unter, Sonden, Kabel,
gelegt wie Eier – Säbelrasseln schwand
rollend und rollend im Trichter der Kollekte,
Hände griffen ein, Raketen
stiegen auf,
Bilder, abgehängt. gestapelt.
und das Quaken der Frösche
bleibt sich gleich.
Auf dem Rücken liegend
hat man die enorme Perspektive,
wie ein großer Vogelkäfig mit
zu weit auseinander liegenden Gitterstäben,
aus denen die Symbole tanzen
in eine breite Transzendenz, jenen Stier, für den wir
die Sinne entwickeln zum roten Tuch; diese Stäbe,
durch die das Aber, der Tod, die Trauer und die Wut
durchdetonieren… das Quacken der Elstern, das
Trillern der Frösche. Es bleibt sich gleich.
…
Hier geht es ganz offensichtlich nicht um Nachahmung von confessional poetry, nicht ums Weiterschreiben einer großen Tradition; vielmehr scheint mir Brandts eigenes Lesen die Form des Dichtens anzunehmen und lädt uns ein, wenigstens ein Weilchen Sexton und Brandt parallel zu lesen.
Mein erster, zunächst äußerlich bedingter Vorbehalt wird indes nicht vollständig ausgeräumt. Als Lektor hätte ich sicher dazu geraten, ein einzelnes Haiku doch lieber noch auf ein paar Gefährten warten zu lassen, und auch einige der anderen Gedichte für einen nächsten Band aufzuheben. Denn die Fülle des Materials ist schlicht überwältigend, allein die Zwischentitel der einzelnen Abschnitte („Die Welt liegt in den Krallen meines Blicks, / die jetzt zu den Händen des Gedichts werden: / unklare Flügel, vielleicht Erben der Zeit.”) könnten als eigener Zyklus, vielleicht kombiniert mit den Gedichten, die über die Bedingungen des Dichtens reflektieren, gut auf eigenen Beinen stehen und einen eigenen Band ausmachen. Aber vielleicht denke ich da auch zu stark in Markt-Kategorien?
Man wird also lange zu tun haben mit der Enterhilfe fürs Universum. Auch weil in Brandts Texten immer wieder Formulierungen auftauchen, die mich leicht ein paar Tage oder mehr beschäftigen können: „Löwenzähne ziehen Dornen aus Sträuchern…” — da finde ich mich sofort in einem Raum zwischen Kindheitserinnerungen und dem heiligen Hieronymus, aus dem ich so schnell nicht wieder herauskommen werde.
Es wird sich wohl jeder Leser einen eigene Zugang zu dem Band suchen und ihn mehrfach mit verschiedenen Schwerpunkten lesen. Mein eigener erster Schwerpunkt waren (und sind es immer noch) die beiden einleitenden Zyklen Von den Wäldern und die Naturgedichte im Anschluss an In memoriam Blaise Cendrars.
XVIII
Am Rand steht der Wald neben dem Feld. Und doch ist es als würden
sie nie aufeinander blicken. Sie verkehren still
in Rehkitzen und bei Regen
hört einer dem anderen vielleicht sogar zu.
Sie sehen den anderen als geschlagene Wunde und schweigen so manche
geschlagene Stunde.
Wie suchende Blicke schweifen hier die Zeilen über das Blatt, bleiben an Verstehbarem hängen, suchen Hilfe beim Reim und lassen doch Leerstellen entstehen. Oder ist es eher ein Suchscheinwerfer, der aus einer amorphen Masse hier und da Erkennbares, Vielleicht-Zusammengehöriges herausleuchten lässt? So oder so ist Brandts Dichten ein Suchen, das nicht Bekanntes abbildet, sondern bislang Unbekanntes sichtbar macht (und das ist ja, wie Paul Klee wusste, die Aufgabe der Kunst).
Diese Suchbewegung zeigt sich in der Form vieler Gedichte ebenso wie immer wieder in einzelnen Formulierungen: „Zedernphantasien”, „Irgendwoherz”, „Kratzer auf der Jadewärme”, „…vor dem seichten Tarifblau” — Sprache bietet bei Brandt keine griffigen Formeln, sondern ist das einzig zugängliche Mittel, um die Gegenstände der Welt zu betasten.
Ich würde es gern schreiben,
wie es ist. Aber ich schreibe
es immer so, wie es sich schreiben lässt.
Ich werde die Gedichte dieses Bandes noch lange mit mir herumtragen, um Brandt bei seinem suchenden Betasten der Welt zu folgen.
Timo Brandt: Enterhilfe fürs Universum. Gedichte. Hrsg. von Jürgen Brôcan. Herford (edition offenes feld) 2017. 104 Seiten. 16,50 Euro.