Timo Brandt: Empfindungen
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Timo Brandt
Empfindungen
I
Ich gehe gewohnt,
trete mir mit den Schuhen
meiner Gewöhnung
selbst auf die Füße.
Aber ohne Kreise wandert es
sich einsam
am endlosen Strand.
II
Schon eine kaum geregte
Fläche Leben, sei es Wiesengrün
oder entblößte Streifen Haut,
die Meere mit ihrer
ansteckenden, einstöpselnden & kühnen
Gunst. Eine unvereinbare
Liebe
hebt und senkt mir die Brust;
mir gehört jede Form von Anlass.
III
Ich kam noch nie mit
Aktenschränken mit,
mit den Karteien, in denen
größere Begriffe sich beziehen
mit den Laken aus den
Erklärungen der Menschen,
während das unaufhaltsam
Unverhoffte, tatsächliche Geschehen,
ganz ansatzlos die Wege
kreuzt & durchstreicht die Ideen.
IV
Nach Abzug einiger Ziele, mit
ein bisschen Erfolgsrot
auf den Wangen schlafen und
meinen,
dass dies doch nicht die
Träume waren, zu klein
und irgendwie schwierig zu
erfahren.
So reihen sich die meisten
Erlebniskuppen ein.
V
Im Glauben der Mut sei
gesunken
und der Übermut und die
Demut, geradezu mutwillig
sei irgendwas zerstört
worden,
vergessen: das alles kommt nur
durch jenes, welches
nicht dem Echo Stimme leiht.
VI
Das Schöne ist
unerschöpflich, allein schon ein Punkt
auf seiner Oberfläche ist
Grund
für eine Tiefe, in die du
weder hinab noch aus der
du heraufkommst, heraus schon
gar
nicht. Du bist Wunde, gelegt
darauf, ins Licht.
VII
Geschwemmt zu werden,
und sei es nur von einem
guten Argument, einer
leicht entzündlichen Antwort,
vom einen auf den anderen
Augenblick zu brennen für
etwas, das noch Spiel, schon
weh tut.
VIII
Ein Scheitern, nachdem sich
etwas streckt, der Verwüstung
etwas anbietet, kein Beileid,
vielleicht
eine Frage, die fast hohl
klingt, aber doch etwas bringt,
eine Erinnerung an die
Versuchung.
Nichts stimmt. Bestimme,
woran du dich erkennst.
IX
Wie könnte man beim Körper
etwas sagen,
der ja nie vertraut wird,
Spiegelbildtau und Vergleichswert,
aufgebaut für eine Reise ohne
Wenden,
Rückenwind nur mittels Eile,
die ihn mit der Zeit zerstört.
Unbeirrt & irritierend
eingezäunter Raum.
X
Wer in der Vergeblichkeit
keine Schönheit findet, den beneide
ich nicht um sein Leiden an
der Wahrheit, man muss
bereit sein für dieses
plötzliche, sehr leichte Knacken, denn
auf die Schale kam es niemals
an, der Lack fällt
ab & wir können das
Ungezähmte sehen, uns erbarmen.
XI
Widerspruch. Oder: welch
wucherndes Genug
würde denn einem Auge, einem
Herz und einem Schrei,
einem Ringen nach Geruch und
Sprache, Spiel
der Sinne stoppend, aus &
eingestellt, ein Ende sein?,
Erlösungswut gehört nicht
wirklich in die Welt.
XII
Das Gesehene, das Aufgesuchte,
das Eingefangene, groß
wie ein Belang aus hoher
Zucht, wiegt
nicht diese vollen Dinge das
verborgene Detail? Eindruck
sucht nach dem Verborgenen,
dem Grund,
doch was wäre das
einschlagende Bild ohne seine Lunte?
XIII
Mehr Gelassenheit im Angesicht
von Preisen,
nicht nur reisen und suchen,
sondern auch geleiten,
weit wird dir nicht werden,
was du verbuchst,
komm auf wie ein Regen und benenne
schöne Strecken
nicht nach den Fotos, damit
sie sich bewegen.
XIV
Wie viele Masken noch,
derweil der Schmerz sich bückt,
du aufhebst, was an Geduld
geblieben
und was dir eingeschrieben
ist? Wie damit leben,
mit dem was unentwegt
dazugehört,
egal wie sehr die Wege
Stillstand widerlegen?
XV
Wie 1.000.000en kleiner Samen
fallen
die Tropfen und du fragst dich
dazu, wie du
sagen kannst, was wichtig ist
zu sagen,
ohne ein Gedicht nur zu
beladen, zu ergänzen,
was sich Poesie nennt an dem
Ganzen.
XVI
Unerforscht, denn wer
hineingeht bietet seine
Geheimnisse gleich mit an.
Tiefe
wird gereicht vom einen nur zum
andern
und keiner legt sie beiseite,
denn alle glauben daran. Now
reveal.
In Timo Brandt: Das Gegenteil von Showdown. Gedichte. Innsbruck (Limbus Verlag) 2020. 96 Seiten. 15,00 Euro.