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Timo Brandt: Draußen sind die Kulissenschieber am Werk

Rezensionen/Lesetipp > Rückschau


Timo Brandt

„Draußen sind die Kulissenschieber am Werk“, innen die Schatten, dazwischen die Bilder, die „die Weiten suchen“
                                                                                                                         
„Als ich jüngst auf Erden weilte und zwischen den
Steinen Ausschau hielt nach den Gebeten der Feldhüter,
Schaumkronen, die der Wind über die Hügel trug,
scheuchte ich hinterm Dorf die Mandelbäume auf.
Da fiel mir ein, daß ihr Blühen eine Antwort sei
und ich behielt meine Frage für mich.“

„Ferne Stunden stäuben am Gesims,
Gürten das Jahr mit ihrer Spreu,
Rüsten mein Wort mit Vergänglichkeit.
Der Tod fällt leise ein
und geht mit Schattenfingern durchs Laub.“

In seinem Nachwort ordnet Jürgen Brôcan das Werk von Christian Saalberg der Schule des Surrealismus zu. Eine verblüffende und doch einleuchtende Feststellung, die mein Leseerlebnis, beim Nachwort angelangt, in ein ganz neues Licht rückte. In meinen Notizen ist von der Belebung des Schematischen die Rede, von der obskur-zärtlichen, wiederkehrenden Persona-lisierung der Dinge, aber nie war mir das Label „Surrealismus“ in den Sinn gekommen.

Das mag auch daran liegen, dass zwar schon die frühen Gedichte von Saalberg nicht frei von surrealen Tendenzen sind, diese stechen aber nicht hervor, sind weder drastisch noch abwegig, da sie eingebettet sind in bekannte Naturschauspiele, verortet in einer Wirklichkeit, die lediglich poetische untermalt, aber noch nicht gebrochen oder verdreht wird. Zwei Beispiele:

„Über der Schlucht hängt im Gestein das Licht.
Du siehst es, wie es seine Finger krallt,
Wie es gleitet, den Halt verliert,
Jählings in die Tiefe stürzt.
Im verwilderten Grund fangen den Hitzkopf
Die Montbretien auf. Da liegt er in ihren Armen.
Seht, wie die Schönen erblühn.“

„Das Klavier fühlt sich stark
für eine Bagatelle. Machtlos
die Verandatür: die Töne
sind nicht mehr zu halten.
Unerwarteter Zusammenstoß im Dorf:
Der Kirchturm wehrt sich,
teilt zwölf Schläge aus.

Betroffene Stille. Der Mittag,
dieser Hypnotiseur, betrachtet
zufrieden sein Werk.“

Bereits von Anfang an begleitet, ja durchdrungen ist Saalbergs Werk von einem wiederkehrenden Repertoire an Entitäten: Tag und Nacht, Vögel und Blumen, letztere oft namentlich genannt, Tod und Liebe, sowie: der Sonne.

Zu letzterer kommen wir noch, aber werfen wir noch einen Blick auf Saalbergs Naturbild. Es ist nicht genuin romantisch, besitzt aber Anklänge dahingehend und entlehnt auch gelegentlich Kulissen und ein paar Pinselstriche Pathos aus deren Konzeption. Saalbergs Liebe zu Landschaften, Natur und ihren bedingenden Prozessen, ist jedoch keine heile, sondern eine verletzte, die zwar Beseeltes erkennt und auftut, aber darin nichts Harmonisches einzurichten weiß; von nichts zu berichten weiß als dem fragilen, schwergenommenen Gelingen oder dem vorzeitigen, leichtgenommenen Scheitern (und umgekehrt).

„Ach, wohin fahren wir, aller Lande verwiesen, ein
Traumbuch in der Hand. Es war die Rede vom Wind,
dem alten Wind. Ich sehe, wie er über die Wiese kommt,
die sich duckt, wie er die Vögel über die Hecken wirft.
Seine Wellen eilen auf mich zu und mein Herz erbebt.
Halte Stand, mein Herz, kralle dich mit allen Wurzeln
fest, wenn es um dich braust.
[…]
Mit dunklen Augen sehen wir den Wellen zu,
flüchtigen Toten, die schon im Sterben auferstehn,
eins mit der wogenden Zeit.“

Wo Saalbergs frühe Gedichte die Phänomene, die den Metaphern entspringen, noch einbetten, gibt es in der mittleren Werkperiode einen Umschwung dahingehend, ihnen die Zügel schießen zu lassen; so sehr, dass manche Entitäten plötzlich zu Figuren werden, über die die Gedichte Geschichten zu erzählen scheinen. Figuren, die sich frei umtun, aber auch nahbar und verletzlich sind, immer wieder eine andere Rolle einnehmen.

Im Zentrum dieses chaotischen und zugleich immer wieder besinnlichen, bestechenden, faszinierenden Geschichtenkosmos steht nicht selten die Sonne. Fast ist man geneigt, sie als Alter Ego zu lesen, weil sie so unentwegt und in so vielen Zuständen in den Gedichten auftaucht – oder, anders gesagt: die Stimmung vieler Gedichte erkennt man schnell daran, wie die Sonne darin auftritt, was sie tut, wie sie behandelt wird.

„Wund wie nach einer Geißelung torkelt die Sonne
           auf ihrer Bahn, geschlagen vom Abendläuten
Und von den Sonnen aus dem Jenseits umringt
           die ihre schwarzen Segel flattern lassen“

„Ich habe einen Stadt gesehen schöner als die
           Unbekannte von der Seine Sie tastete sich
Durchs Grün wie ein Schiff das unter Wasser die
           Segel setzt ein Schweigen das sich lichtet
Und langsam sichtbar wird
[…]
Der Mohn legte mir drei Worte auf den Tisch die
           ich nicht vergessen kann

Ich sah der Sonne bei ihrer Arbeit zu Sie nagelte
           den Sommer fest tätowierte ihm das Blut ließ
Ihn schwären daß er sie nie verlassen wird
Noch nach ihrem Tod kündet ihre Keilschrift von
           einem Sommer der nicht sterben will“

Die Gedichte der mittleren Periode lassen sich abseits solcher Analysen am häufigsten mit dem Wort „hinreißend“ beschreiben. Es liegt etwas Mutwilliges in ihnen, das sich dennoch mit Zärtlichkeit, mit Frohsinn und Gefühlen der Hoffnung vereinbaren lässt. Auf eigenwillige und doch auf sehr eindrückliche Weise sind die Gedichte ständig am Wehren und Wahren, errichten sich selbst als Widerstand gegen Zeit und Räume und gleichsam als Wink an alle Phänomene, sich einzufinden, mitzutun.  

„Aus den Federn geholt habe ich den Morgen,
habe ihn gewaschen und blaue Strähnen ins
Haar gekämmt (er sieht jetzt besser aus).

Der Wahrheit habe ich die Flügel gestutzt,
damit sie uns nicht schon heute belästigt
(es genügt, wenn sie morgen kommt).

Den Vögeln habe ich die Wege freigeschaufelt
und dabei viel Luft bewegt. Ich lasse sie
an Drähten auf- und niederschweben.“

Viele der bestechenden, beglückenden Bilder, erscheinen auf den zweiten Blick wie buntes Packpapier, mit dem eine große Angst in einer noch größeren Verpackung aus Sehnsucht ausgepolstert wird, herumgeworfen von den Wellen der Zeit, gegen die Kanten der Vergänglichkeit. „Der Staub ist ein Gerüst, das die Wahrheit nie erklimmt“ heißt es in einem Zyklus mit Kurzgedichten. Saalbergs Poesie erklimmt das Gerüst, aber je höher sie steigt, umso tiefer ist der Abgrund, der Fall.

Die Fallhöhe ist dann auch ein zentrales Motiv in den späten Gedichten, die viel vom Tod, vom Abschluss, vom Verlassensein, sprechen. Sie (ver)suchen zwar manchmal noch das inbrünstige Bekenntnis, aber es reicht nicht weit genug, es liefert zu wenig Packpapier, die Angst bekommt Sprünge, Risse, aus denen das Schweigen des Todes bereits hervortritt.

„Meine Engel sind zwei Oleander die sich am Ortsrand
           niedergelassen haben in einem Landhaus das in
Einer seltsamen Metamorphose alle Fächer in meiner
           Brust geleert hat

Auf diese Weise gelangte ich in den Besitz einiger
           Buchstaben die ich nur vom Hörensagen kannte
Und die zusammengesetzt das Wort LIEBE ergeben
Wenn ich es ausspreche fällt in meiner Kammer die
           Gitarre vom Haken

Das sind Dinge die nicht begreifen kann“

Ein großer Glücksfall, dass Schöffling & Co, nachdem zuletzt schon Guntram Vespers Gedichte in einer Gesamtedition wieder aufgelegt wurden, diesen Auswahlband von Saalberg besorgt und seinem Werk für einige Zeit einen Platz in der deutschsprachigen Lyrik gesichert haben – den es ohne Zweifel verdient.

Mit dem Band „In der dritten Minute der Morgenröte“ ist ein Dichter zu entdecken, der Geschichten über Worten erzählen konnte, der sich mit ihnen in die eigene Angst stürzte und zu den eigenen Freuden aufschwang, in Bilderwelten, die entgrenzt und dennoch lebensnah wirken, die Weiten suchen, wo scheinbar nur Kulissen sind.   

„Sich niederlassen in einem Wort, das man noch

nicht gefunden hat, um das man erst
mit dem Tod würfeln muß.
[…]
Eines Tages trat aus den Falten der Nacht die
Sonne und umschritt mein Haus.

Das war meine letzte Erinnerung.“


Christian Saalberg: In der dritten Minute der Morgenröte. Ausgewählte Gedichte. Hrsg. von Mirko Bonné und Viola Rusche. Mit einem Nachwort von Jürgen Brôcan. Schöffling & Co, Frankfurt am Main, 386 Seiten, 32 Euro.
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