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Timo Brandt: Ab hier nur Schriften

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Jan Kuhlbrodt

Zu Timo Brandt: Ab hier nur Schriften


Hier schreibt ein manischer Leser, und der Titel des Gedichtbands ist so ernst gemeint, wie er etwas formuliert, das eigentlich immer schon gilt, zumindest so lange das Buch das übliche Trägermedium für die Verbreitung von Gedichten ist. Man kann die Dinge nicht in die Texte kleben, schreibt Adorno. Die Referenz des Textes ist also der Text, und jeder Text entspringt einem anderen, besser: er entspringt keinem einzelnem Text, sondern dem Textgeflecht, das ihm vorangeht. Literatur verbreitet sich rhizomatisch.

Zuerst waren es vor allem alte Fahrräder, die dort lagen.
Im Graben schwammen Enten und beim Baum blühten Narzissen.

Ein Gedicht, das so beginnt, beschwört natürlich zu allererst so etwas wie eine romantische Melancholie. Diese löst sich nicht auf, auch wenn im nächsten Vers eine Fernsehserie oder ein Computerspiel zitiert wird. Das mag daran liegen, das im zeitgenössischen Cross Over so ziemlich alles zur Sprache kommt, was im Sand der Tradition bewahrt wird. Manches wird zufällig freigespült, manches wird gezielt entborgen, weil irgendwer sich daran erinnert. Entborgen und adaptiert. Das Original ist nurmehr das Zitat.
    Und vielleicht war das ja schon immer so, und wir haben uns nur von der Originalitätsbehauptung einzelner blenden lassen. Allerdings sind nicht alle Texte, auch nicht alle Texte Brandts, so einfach rückzuführen. Der Leser kann, so er möchte, detektivisch agieren.

Es düst der Wind
wie eine Mischung aus spielendem Kind
und Überschallflugzeug
durchs Laub.

Wir sind es gewohnt, einen Dichter am Stil zu erkennen, ihn zu identifizieren an der Art seines Schreibens, und irren wir uns, weil der Stil des Gedichtes dem eines anderen ähnelt, kann es vorkommen, dass wir uns betrogen fühlen, betrogen um unsere Identifikationsleistung, die wir für ein Erkennen halten. Das geht so weit, dass wir rückwirkend identische Dichter (oder Maler) konstruieren, dem wir Werke zuweisen, die an seinen Personalstil erinnern. Eine Grafik heißt dann nicht mehr so, wie der Künstler sie benannt hat, sondern sie trägt den Namen des Künstlers als Schild: Ein Picasso!
    Und wenn eines der Werke gut, gar überragend ist, nehmen wir gern an, dass auch die anderen Texte des gleichen Autoren es sein müssten, dieses Denken schreibt der Markt uns vor. Und jemand der sich ihres Tones annimmt, gilt entweder als Plagiator oder er gibt sich als Parodist zu erkennen. Dieses Verhältnis unterläuft Timo Brandt.

Mit der ich einmal Jandl las
Ganz oft verstand sie keinen Spaß

Timo Brandt aber ist weder das eine oder das andere, er widerlegt gleichsam das oben Beschriebene, denn ein Ton ist ein Ton, und sich auf einen festzulegen, hieße sich mit einem zu bescheiden, hieße also seine Möglichkeiten zu beschneiden. Man gäbe, vielleicht zum Preis der persönlichen Erkennbarkeit, die Freiheit auf, sich durch verschiedenste Töne zu bewegen.
    Brandts Gedichte sind, wie man so schön sagt, lektüregetränkt. Sie bedienen sich lustvoll am Vorliegenden, und ihr Autor erweist sich als produktiver Leser und Durchlauferhitzer.
    Auf wunderbare Weise wird das im Text: „Mayröcker mitschreiben“ deutlich. Hier lässt der Autor auch den letzten Rest Eitelkeit fahren und gibt sich ganz dem überlieferten Wortmaterial hin. Es ist ein lustvolles Sich-auflösen, mithin eine Befreiung, zumindest für den Autor, und in den besten Texten des Buches und vor allem durch ihre Anordnung teilt sie sich dem Leser mit.


Timo Brandt: Ab hier nur Schriften. Gedichte. München (Aphaia Verlag - Mitlesebuch 146) 2019. 70 Seiten. 9,90 Euro.
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