Thomas Podhostnik: Unter Steinen
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Jan Kuhlbrodt
Thomas Podhostnik: Unter Steinen.
Prosa. Köln (parasitenpresse) 2020. 42 Seiten. 10,00 Euro.
Die Rettung
zu Thomas Podhostnik: Unter Steinen
(mit Zeichnungen von Johanne Ritter)
„Er musste sich konzentrieren und horchen und lauern und aufpassen, dass er nicht starb, an der Rettung starb.“
Es gibt Texte, die setzen von vornherein
Zeichen, fühlen sich einer Gattung zugehörig, tragen die Insignien der Gattung
wie ein Ordner seine Armbinde, die ihn als Ordner markiert, ihm den Platz in
der Ordnung selbst zuweist, die er zu schaffen und zu verteidigen hat.
Ordnung, auch ästhetische Ordnung,
als autopoietisches System, Ordnung, die zulässt, was ihr entspricht, und
verbietet, was ihr zuwiderläuft. Wer in die Fänge einer solchen Ordnung gerät,
büßt jegliche Autonomie ein.
Ich meine, Kunstfertigkeit zeichnet
sich dadurch aus, dass sie sich einer Ordnung, der sie unterworfen zu werden
droht, entzieht. Kunst achtet auf Abstand in beiderlei Richtung.
Der Text im vorliegenden Fall, die
Erzählung „Unter Steinen“ von Thomas Podhostnik hält Abstand auf Sicht zur
Prosa, wie wir sie zu lesen gewohnt ist, und gibt gleichermaßen den Blick frei,
auf ihr lyrisches Element. Ein Element, das jeder Prosa innewohnt, die zu lesen
sich lohnt. Nur eben liegt es oft unter der Narration begraben. Nicht so bei
Podhostnik, der in diesem Punkt sicher Anleihen bei Kafka nimmt, den er wohl
sehr genau gelesen hat: ohne dabei epigonal zu werden.
„Kein Glaube an Stromaggregate und Scheinwerfer. Glaubte ans Schlafen, das andere schliefen. Hörte Knacklaute, die von Fingernägeln auf Email.“
Das Büchlein, um das es hier geht,
hat gerade Mal vierzig Seiten, nimmt sich also super aus in den
Veröffentlichungen der Parasitenpresse, die, man kann es nicht anders sagen,
eines der Flaggschiffe unabhängig experimenteller Literatur und vor allem der
Lyrik ist. Solchen Unternehmungen wie diesem Verlag ist es zu danken, dass
derartige Erzeugnisse wie dieses Buch überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit
gebracht werden.
Der Protagonist im Text allerdings
bleibt im Dunkeln, bleibt verschüttet, bleibt bis zum letzten Satz auf seinen
Hörsinn angewiesen. Noch mehr als der Icherzähler in Poes „Die Fallgrube und
das Pendel“, wobei ich hier eine zweite Referenz aufmache, vor der sich der
Text nicht zu scheuen braucht, ist dieser in seinem Handeln eingeschränkt.
Seine Lage spitzt sich nicht zu, weil sie sich verändert, weil sich etwa wie
bei Poe die Decke senkt, sondern weil sie bleibt, wie sie ist. Die Gedanken
sind es, die den Kreis enger ziehen, um den Eingeschlossenen und seine
dinghaften Begleiter, wie ein Radiator, dessen Rauschen an seine vergangene
Funktion erinnert.
Dass die Gedanken dann Blüten
treiben, die Wahrnehmung verbiegen, dass auch der Leser nicht weiß, was der
beschriebenen Realität oder der Phantasie des Helden entspringt, ist nur konsequent,
und vielleicht das realistische Moment des Ganzen, und auch dass die Zeit sich
in sich selbst zurückzieht und nur noch als innere erfahrbar wird.
Dem Buch sind Zeichnungen von
Johanne Ritter beigegeben, die weniger illustrieren, als den Text lenken. Es
sind Zeichnungen von Skeletten, die wie in der mexikanischen Kunst
beispielsweise, durch ihre Knochenanordnung in Tanzposen oder Kommunikationsakten
den Tod ins Leben zurückholen, als sei das Sterben und der Tod nur ein Moment
im ewigen Prozess. Auf anderen Zeichnungen zeigen sich technische Geräte
(wahrscheinlich sind sie so etwas), die fern ihres Gebrauches sich in reine
Ornamentik verwandeln. Superschön!