Thomas Kunst: freie folge
 
						
Thomas Kunst
freie folge
(Auszug)
ABER IMMER ABENDS DIE BUTTER RAUSSTELLEN, BIBIKOVA,
In deinem ersten Jahr in der Fremde, atmen und 
Lauschen, aus dem Flur 
Abstreichen, Landesunterricht nehmen, sich den Pausenbroten
Unterordnen, den Sulzen auf den Lichtungen
Nachweinen, die Baltischen Ritterschaften nicht
Unterschätzen, Wehrhaftigkeit und Grundbesitz 
Bewundern, Demut zeigen, Schönheit mit Textilien zunichte 
Machen, Hausanzüge meiden, verschlossene
Schubladen hinnehmen, den Teppichen zur 
Verfügung stehen, die Haarspangen der Kinder 
Betreuen, Stillschweigen in 
Kauf nehmen, das Mitsingen im Kopf 
Unterlassen, die Wildschweine in der Heimat für fast
Doppelt so schwer halten, Wagner bevorzugen, nach 
Zweiundzwanzig Uhr im  Zimmer 
Bleiben, an den Clubjacken des Hausherrn
Geschmack finden, auf Unstimmigkeiten im 
Zwinger achten, die Sonntage ehren, der Dorfjugend den
Körpereinsatz ankreiden, das Töten, das
Reinigen, das Singen, den Briefmarken 
Die Anfahrtswege nachsehen, die Zuckerfabrik mit einem
Atelier verwechseln, an den Gott der 
Ereignislosigkeit glauben, Überläufer verstehen, Unterlegenheit 
Entbehren, Anträge auf Vernachlässigung
Abheften, die national befreiten Zonen
Befreien, Ameisen inhaftieren, Fluchtbretter 
Verteilen, Europa vergessen, die letzten Telefonzellen 
In Atem halten, den geöffneten Motorhauben 
Vertrauen, den freien Plätzen in Vorpommern die
Mittlere Reife absprechen, die Fladenbrote mit Zeltstangen
Stützen, der Discothek Calypso nachtrauern, Falticeni 
Vermissen, den Kommunismus in Autowaschanlagen ohne 
Autos verteidigen, die vertrocknete Landwirtschaft 
Küssen und danach 
Abtupfen, Schwarzwild und Rotwild durcheinander 
Bringen, Spielfilmhoffnungen 
Verheimlichen, Schicksalsschläge 
In die Jahreszeiten mit einbauen, den Infektionen 
Nachsinnen, die Angst als Existenzbefangenheit 
Abtun, das Klammern beschwichtigen, das Töten, das 
Reinigen, das Singen, den Schwänen 
Die Vertretbarkeit von Schilf 
Gönnen, Butler in Turnschuhen
Zulassen, verwahrlosten Geldscheinen auf den Hals 
Treten, das Verrücktsein zu noch mehr Verwegenheit
Anstacheln, die Normalität umstellen, aber nicht 
Beschützen, Manifeste mit Fingerlosungen 
Übertünchen, grandiose Beschützer 
Abwerben, Nahkämpfe bis zur 
Gedächtnislosigkeit nachstellen, 
Berührungsgesten von der 
Seite bemuttern, Hausanzüge meiden, der Verteidigungssehnsucht das 
Vertrauen aussprechen, den Brüdern die Stundenprotokolle 
Nachsenden, die Korridore mit Bindfäden 
Behelligen, der Treue für die Begriffsstutzigkeit 
Danken, das Begreifen in eine Einschlaftechnik 
Ummünzen, den Adel der Beteuerungen 
Achten, die Armut von Flüchtlingen ernst 
Nehmen, Meeresfrüchte aus Anklam 
Verschmähen,  das Töten, das Reinigen, das
Singen, dem Norden abschwören, alle Zuführstraßen 
Besetzen, nach zweiundzwanzig Uhr im Zimmer bleiben, die
Butter rausstellen, abends, in Mavenbeek, die
Briefmarken aufrichten, den Schwänen
Danken, die Butter 
Rausstellen.
Aus Thomas Kunst: Freie Folge. Roman. München (Jung und Jung) 2015. 256 Seiten. 24,00 Euro.
 
 
