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Tamara Ralis: Dreamers of Earth and Aether

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Karin Fellner
 
„A Secret Reservoir of Intensities“ – Ein Lektüreeindruck zum Erzählband „Dreamers of Earth and Aether“ von Tamara Ralis
 

Dass wir „nicht sehr verläßlich zu Haus sind / in der gedeuteten Welt“, wusste schon Rilke. Doch hat sich die Weltlage nach den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts noch weiter verschärft. Nolens volens leben wir inmitten der Kernkonflikte einer Postpostmoderne, in der sich existenzielle Fragen mit doppelter Dringlichkeit stellen.

Diese Zuspitzung wird in Tamara Ralis‘ Erzählband „Dreamers of Earth and Aether” aufs Intensivste sichtbar. So verschränken sich in den konzisen Prosaminiaturen – keine ist länger als zwei Seiten – die Schicksale einzelner Protagonisten eng mit dem großen Ganzen. Ob eine Studentin beim Ausdrucken ihrer E-Mails über den abgeholzten Wald und die heimatlos gewordenen Tiere nachdenkt oder ob ein Reisender an die in ein Kriegsgebiet zurückgekehrte Geliebte denkt – die Auswirkungen von Hyperkapitalismus, Klimakollaps und bewaffneten Konflikten betreffen die Figuren ganz konkret. Oft rücken Hauptperson und Grundkonflikt den Lesern schon mit dem ersten Satz ganz nah, etwa in einer stupenden Einführung wie: „Joey was only six, but he saw a big blonde woman looking out of the TV who screamed.“

Überwiegend begegnen die Leser hier feinfühligen und künstlerisch veranlagten Menschen und „Dreamers“, Menschen wie Teresa, von der es heißt: „Teresa […] was easily haunted by the vibrations of people and things“. Dabei handelt es sich nicht um Elfenbeinturmbewohner, im Gegenteil: Die meisten der Charaktere sind unterwegs zwischen „gas stations, highways, airports, movies, computer shops and discount stores“ und versuchen, sich in der kippenden Welt zu behaupten. Die Leser treffen Anhänger von Managerstrategien, Dozenten, Fremden-führerinnen, Dolmet-scherinnen, Truckfahrer und Künstlerinnen.

Wie über unsichtbare Fasern scheinen Ralis‘ Figuren mit der Umgebung verbunden, auch mit dem Feinstofflichen. Oft ist ihnen ein Hauch von „otherworldliness“ eigen, so etwa Miss Bartholdy, die ihr Atelier voll graziler Skulpturen als „place of departure into space“ bezeichnet und sich vorbereitet, „to survive in the invisible“.

Viele Charaktere leiden unter dem Verlust von Schönheit im Sinne einer diaphanen Ästhetik. Die „im Zeitalter der Reproduktion“ wegbrechende „Aura“ von Kunstwerken ist ihnen ein wichtiger Bezugsraum, wobei „Aura“ hier mit Walter Benjamin verstanden werden kann als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“. Die Reduktion von Bauten auf ihre Funktionalität, von Menschen auf ihre Rolle als Konsumenten lösen in wachen Köpfen Krisen aus, denen mit je ganz eigenen Trost- und Rettungsversuchen begegnet wird.












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Meist ringen die Protagonistinnen mit großer Disziplin um Balance; inmitten asymmetrischer Rollenbilder und Körperkonzepte sind vor allem weibliche Figuren in Verunsicherungen geworfen. Es finden sich treffende, traurige Analysen, etwa wenn Laura nach elf Ehejahren Zuflucht zur plastischen Chirurgie nimmt, weil sie „believed the outside somehow reflected the inside. What couldn’t be changed, could at least be washed.“ Auch Yvonne findet keine andere Tröstung als unter Zuhilfenahme gegenwärtiger Konsum- und Ego-Technologien: „Wellness activities and formulas of positive thinking separated her from the dark. The professional world to which she belonged permitted no signs of hesitation.”

Wenn die Suche nach (Selbst-)Rettung im Materiellen stecken bleibt, wenn die Figuren sozusagen ihr Heil in den materialistischen Schwundformen religiöser Praktiken suchen, streut Tamara Ralis auch von sanfter Ironie getragene Sätze ein: „She was […]venturing to disappear whenever her delicate fibers began to vibrate from too much feeling. Then she would walk along an imaginary road, the kind they have in California, heavenward, so to speak.“ Neben Reklamebildern können auch Körperpflegeprodukte zum Rettungsanker werden: „she read what the cream would accomplish […] Aloe, lavender, roses, dimethicon, hyloric acid and vitamin B were her new unwavering allies“.

Doch kehrt sich die Erzählerin nie von ihren Figuren ab oder setzt sie gar dem Spott aus – durch innere Monologe und personale Perspektive bleibt man ihnen lesend nahe und erkennt ihre Anstrengungen auch als charakteristische Überlebensstrategien in der heutigen Leistungs-gesellschaft. Alle sind sie gezeichnet vom „Akut des Heutigen“ (Paul Celan).

Es treten auch Protagonisten auf, die ihre Unsicherheiten in Akte der Abgrenzung übersetzen: So etwa der Architekt, der – als eine Art persönlichen Fußabdruck für die Ewigkeit – riesige Klötze in die Landschaft stellt und so das Sterben seiner Tochter verdrängt: „He was an architect, not just a father“. Die Stories führen – teils auch mit futuristischen Zuspitzungen – vor, wie absurd ein solches Abgrenzen und Beharren wirken kann, etwa wenn inmitten des kollabierenden Klimas ein Wissenschaftler doziert: „It is superstitious to believe that a volcanic eruption could be caused by the onslaught of scientists on a comet – as absurd as a poet’s idea“.

Den eigenen Ängsten und dem großen Unwägbaren begegnen die – in der Mehrzahl vorhandenen – Künstler- und Träumerfiguren dagegen offenen Auges. Sie gehen durch schmerzliche Erfahrungen, indem sie diese künstlerisch sublimieren oder ihnen durch eine ‚Philosophie der geistigen Hingabe‘ Klarheit abzugewinnen suchen: „He was ready to carry the weight of the world, lest he be transported by weightlessness into the unknown“. Sie bleiben ausgerichtet auf etwas jenseits der sichtbaren, greifbaren Realitäten, sind oft durchlässig für andere Sphären, wie die Frau, die im Apartment eines kürzlich Verstorbenen übernachtet: „Ideas and images seemed like the tender company of invisible presences, and she almost fell in love with the man who was not really there“. Für diese Figuren hebt sich immer wieder einmal der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits: „Somehow the atmosphere dissolved the veil between here and there and conveyed a feeling of being afloat.“

Wird die Ausrichtung auf ein Jenseits ins Extreme getrieben, neigt sich eine Hauptfigur zu stark einem der beiden Pole „Earth“ oder „Aether“ zu, lässt die Erzählerin erneut sanfte Ironie einfließen. Etwa wenn Cecilia beschließt, sich trotz Ehe dem Zölibat zu verschreiben und in einer Vision erlebt, wie die Geister des Irdischen und des Himmlischen gegeneinander antreten. Wie aber geht man mit einer solchen Vision heute um, „in an era in which saints and demons were relativized and therapeutically exposed“?

Die Begegnung zweier Menschen steht in vielen Stories im Mittelpunkt. Sie sind aufeinander bezogen, in Beunruhigung und Zuneigung, sodass etwas Drittes entsteht, ein Spannungsraum, der auch die Leser mit einbezieht: „a third power was coercing them“.

Dabei ist Liebe oft mit Anstrengung verknüpft. Charaktere wie Paolo versuchen, Liebe in die Welt zu bringen und so die Leiden der Mitmenschen zu lindern, ohne dass diese je etwas davon bemerken: „They did not know he was working to purify their woe.“ Und Nunciatina folgt einem Versprechen gemäß ihrem Mann überallhin, obgleich „this promise had turned into a hard life“. Sie wird getragen von einer inneren Stimme, die sie bestärkt und stützt. Von den reichen, bewegten Innenräumen dieser Liebenden dringt oft wenig an die Außenwelt, was nicht zuletzt an Goethes Philine und ihr Credo erinnert: „und wenn ich dich lieb habe, was geht's dich an?“ (Wilhelm Meister).

Die Nähe zweier Menschen zueinander meint in diesen Stories nie ein restloses Ineinanderfallen oder gar Einverleiben des Anderen. Im Gegenteil: Differenz und Distanz bleiben Voraussetzung für gelingende Kommunikation. Reverie etwa beschließt in Bezug auf ihre E-Mail-Korrespondenzen „to dream her dialogues from a distance”. Bei mancher Figur nimmt das Bejahen der Distanz auch paradoxe Formen an, etwa wenn Gabriel – ganz dem Paradox des Minnesangs folgend – seine geliebte Gina niemals berühren will, um sie als sakrosankte Instanz zu erhalten: „Gina […]was part of a cathedral which stood by the ocean in a place he had heard of, yet never seen.“

Wie in solch paradoxen Denkräumen werden bei Tamara Ralis überhaupt vereinfachende Dichotomien und Trennungen vermieden. Das polare Begriffspaar des Titels – „Earth and Aether“ – spielt zwar in all seinen Facetten von den Elementen bis hin zum Gegensatzpaar Materie/Metaphysik eine große Rolle, tritt aber immer korrespondierend, gewissermaßen sich gegenseitig spiegelnd auf: „The sky seemed to be fluid earth“. Gegensätze werden von Ralis überall in Beziehung zueinander gesetzt, subtil verschränkt.

Das Moment der Verschränkung zeigt sich auch auf formaler Ebene: Kernmotive wie Architektur, Klimawandel, Warenwelt oder Liebe, Tod und Kunst werden nicht nur in einzelnen Prosastücken aufgegriffen, sondern über die Grenzen der Einzeltexte hinaus variiert. So geraten die Motive in Bewegung, mäandern durch aufeinanderfolgende Texte und verbinden sie.

Tamara Ralis‘ Geschichten zeichnen sich durch eine ebenso klare wie fluide Prosasprache aus. Gezielt und sparsam werden symbolische und surreale Bilder eingesetzt, etwa in der ersten Geschichte „Forsaken Green“, die folgende treffende Szene in den rasanten Zoom von den schmelzenden Polkappen bis in einen überfüllten Zugwaggon einbindet: „top executives walking on stilts – their legs, suddenly, on different pieces of ice, each drifting in another direction“. Daneben finden sich immer wieder auch sparsame Klangverknüpfungen, wie etwa im Titel „A Tiny Treatise on Retraction“, die einzelne Formulierungen mit größerem Nachdruck hervortreten lassen.

Die konzisen und intensiven „Stories“ enthalten kein überschießendes Sprachmaterial, sie sind Werke der Verdichtung und der poetischen Disziplin. Während Felina in der Story „Things of the Air ” spürt, dass ihr Erleben nicht in Worte übertragbar ist – „A sudden pact with a secret height that inspired her did not permit putting into words what could be doubted ”  –, übersetzt Tamara Ralis gerade das schwer Fassbare, die Ränder unserer Wahrnehmung, in Sprache. In ihrer Knappheit erzeugen die Geschichten immer wieder poetische Hallräume, die sich zwischen und hinter den Aussagen auftun – und auch die Leserinnen beflügeln, die Territorien der erschlossenen und vermessenen Welt zu überschreiten und „[to] open shores of the undisclosed in a world too disclosed.“
 

Tamara Ralis: “Dreamers of Earth and Aether. 33 Stories“ ist als E-Book bei Amazon und hockebooks erhältlich.
Die Printausgabe (hockebooks, 2017, 46 Seiten, 14 Euro) kann per E-Mail direkt bei der Autorin geordert werden: Tamara.Ralis@beings.de
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