Tamara Labas: Drei Gedichte
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Tamara Labas
Drei Gedichte
festhalten
freudige augenblicke verschwenderisch
einfrieren
momente des wonnetrunkenen lebens
einwecken
ungetrübte zeit einbalsamieren
verdrießliche furchen aus der haut radieren
das öde wegstreichen
wie getrieben in einer endlosschleife
im ausgetüftelten speicherplatz alles festhalten
und den schlussakt vergessen
das schächtelchen meiner großmutter
bewahrte zufrieden
die wenigen anhaltspunkte die nach
vergänglichkeit rochen
meine großmutter verbrannte auch
ihre erinnerungen
sie steht nun an einer durchsichtigen tür
und wartet
dass ihr flügel wachsen
es war sonntag
es duftete deutlich und
warm mit einer prise salz
nach milch und zerlassener schokolade
nach frisch abgerissenem grün und einer
spur lorbeer
der wohlgeruch eines aufgeschlagenen eies
nahm sich zeit
sich des raumes zu bemächtigen
aber gebratene äpfel mit einem hauch zimt
in der luft und etwas aufgewärmte zypresse
butterig und teigig
in meinem haar verfing sich der atem
eines jungtieres
sein odeur niedlich nach waldzyklam sodann
in die herbstliche sonnenluft untermengte
sich kaum fühlbar
das nachdenkliche einer ausgerissenen fichte
und die luft nach feuchter erde aus der
pilze sprossen
sie schmeckte angenehm olivgrün
und ungekünstelt
niobe
aus ihrem kleinen mund gebar sie eine
seifenblase nach der anderen
diese wurden zu kleinen kindern
sie pflanzte sie wie kleine bäumchen
nebeneinander vom ältesten zum jüngsten
die kleinen mädchen und kleinen jungen
hielten sich brav an
den händchen oder nuckelten an ihren
fläschchen
in der brusttrage das letzte
seifenblasenkindchen
sie tanzte zum rockkonzert
an dem abend erschien sie uns so schön
wie schneewittchen
mit ihren sieben zwergen
in ihrer linken hand hielt sie eine flasche bier
sie trank man sah
es schmeckte herb aber es löschte ihren durst
die erde atmete schwer
In Tamara Labas: Helioszweige. Linolschnitte Steffen Büchner. Schondorf (Lyrik-Edition NEUN - Bd. 28) 2024. 32 Seiten. 9,00 Euro.
