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Svein Jarvoll: Zwei Gedichte

Montags=Text
Svein Jarvoll
Zwei Gedichte
übersetzt von Matthias Friedrich


Eine Predigt

IN einem brennenden licht giebt es eine harmonia
der wiedersynne/ dis ist das paradox des lebens selbst/
das sichtlich vns vor augen stehet. Ein dunckler raum
ein licht/ ists möglich/ simpeler davon zu reden? Ein zitternd
flämlein fewr/ eine schwache kleine creatur/ die im
schwartzen dunckel täntzelt und gespiegelt wird
in vnsern augensteinen. Wo hat es seine wohnstete wol/
das flämlein fewr? Gebunden ists an wachs vnd docht/
in seiner bindung aber/ besonders seiner bindung/ nimbt es
eine schönheit an/ die sonst keine freie creatur besitzet.
Sollen wir seine bewegungen munter nennen? Seine
munterkeit ist ernst gefärbet/ sie ist ein
interludio. Ein flämlein fewr ist ewigklich
mutatio und bleibt stets gleich. Ist das/ weil
der mensch ohn müdigkeit ins fewr starret/
gleichwie ohn müdigkeit er in das wasser schauet/
vnd siehet/ dasz es stets es selber bleibet/stets in mutatione?
Ein mensch sitzet vorm fewr/ ist nicht ernst/
nicht munter/ und so er träumet/ sind
seine träume tastend. Beugend beugt das flämlein fewr sich
im schwächsten winde/ gantz ohn lavt ists vnd
täntzerin. Die alten griechen lehreten/ es gäbe
an einem orte über vns/ einen lebenshimmel/ alle
fewrsflämlein eileten dort obenhin/ denn auf der erden
wären sie ohn herr/ ohn heim. In seiner einfältigkeit
ists ein enigma. Es lebet und verzehret sich selbst/
wenn es noch lebet. Es tantzet und es weinet.
Eine stunde nur brennet manches licht/ vnd manches
einen tagk. So lang ein leuchten läszt sich in sie gieszen
wie das Methusalems/ neunmal hundert und neunundsechzig
jahr. Doch alles höret auff. Alles licht brennet
ab. Nur wenig asche bleibt zurücke in der absconsula/ so wenig/
dasz wir schreiben müssen mit den fingern/ sie sehn zu können.
Wir haben ein gespenster-heer. Wir entzünden ein neues
licht und haben ein gespenster-heer.


Canto

In einem Traum stieg ich
die Treppen im Haus des Meeres hinab
und verließ die Lebenden,
verließ das große Prisma aus Licht,
das über der Tiefe hing.
   Ich hatte niemals zuvor
solche Scharen von Verdammten gesehen,
aber dennoch kannte ich mich aus.
   Ich erinnerte mich noch an das Schiff,
das drüben auf der Seite lag,
und die Tür, die in den Wasserströmen auf- und zuschlug,
hatte ich bereits gesehen.
   Ich saß einmal an jenem Tisch,
den jetzt das Wasser für sich beansprucht hatte,
und jenes Seil, das geradewegs herausragte,
hatten einmal meine Knoten markiert.
   Welche Art Wille,
fragte ich,
lässt in Matrosenohren
Seegras wachsen,
   wie kann ein so dünner Strich,
wie es abends das Meer ist,
so viel stumme Musik raumen ..
   Ich weiß nicht, ob ich selbst hieraus erwachte
oder wer mich weckte.
Aber meinen Kopf, den fand ich wieder,
und unter Wasser hörte ich ferne Steine,
die aneinander knirschten.

Beide Gedichte in Svein Jarvoll: Thanatos. Ein polyphones Gedicht über den Tod. Norwegisch / deutsch. Übersetzt von Matthias Friedrich. Oslo, Greifswald & Schupfart (roughbook 050) 2019. 100 Seiten. 15,00 Euro.

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