Stefania Kuszlik: speziFISH
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Ulrich
Schäfer-Newiger
Stefania
Kuszlik: speziFISH.
München (icon Verlag Hubert Kretschmer) 2021. 100 S. 17,00 Euro.
speziFISH
AUGENSCHEINLiCH unEINdeutig
Geschrieben werden soll hier über ein
interessant-zweideutiges Buch, bei dem beim ersten und auch beim zweiten
Durchblättern nicht klar ist, ob es sich um einen Gedichtband oder einen
Grafikband handelt oder um etwas von allen beiden. Also: ein typisches Ding
(auch sorgfältig gemacht und wunderbar anzufassen) unserer uneindeutigen Gegenwart.
Denn weiterführend-hilfreiche Angaben fehlen, genauso wie ein
Inhaltsverzeichnis oder auch nur Seitenzahlen. Die Lesenden/Betrachtenden sind
auf sich selbst angewiesen. Neben Titel und Autorin (oder besser: Gestalterin) auf
der 2. Innenseite gibt es auf der 3. Seite noch eine Äußerung von Arno Schmidt
als Motto: Die Wonnen der Aufzählung. Darauf wird zurückzukommen sein.
Die Umschlagseite schon macht deutlich, um was es geht: Um
visuell gestaltete Texte oder besser, Wortansammlungen, Wort-aufzählungen, Wortaneinanderreihungen,
vielleicht auch um Wortsalate und, wenn wir später tiefer eingedrungen sind in
das kleine Buch, auch um so etwas wie Zeichensalate. Die Text-körper
repräsentieren allerdings keine konkreten Gegenstände, wie wir sie etwa von
barocken oder auch modernen Bildgedichten kennen, keine Bäume, keine Kreise,
keine Tauben auf einem Springbrunnen wie bei Apollinaires La colombe
piognardée et le jet d’eau von 1918. Sie sehen vielmehr oft aus wie Inseln in
weißem Papiermeer, oder wie Landschaften mit uneindeutigen Umrissen und
Begrenzungen. Es sind oder scheinen abstrakte, jedenfalls interessante Gebilde
zu sein, die keine eigene Geschichte erzählen und / oder Sinn und Bedeu-tung der
verarbeiteten Wörter oder Wortfolgen repräsentieren.
Andere Textkörper umfassen, links- oder rechtbündig gedruckt, auch eine ganze Seite und machen so den Flächencharakter dieser Wortaneinanderreihungen besonders augenfällig.
Eine Ausnahme meine ich ausgemacht zu haben bei dem Figurengedicht, das mit MaCKeRHAFT, und bei jenem, das mit TuSSiHAFT beginnt: Hier sind die Umrisse eines Männer- und eines Frauenkopfes schwach erkennbar, die sich gegenseitig ansehen – oder anschreien. Ansonsten sind die Gestaltungen der Textkörper bzw. -flächen, wie man sie treffend vielleicht nennen sollte, für allerlei Interpretation und Deutung offen. Also auch hier: keine Eindeutigkeiten.
Stefania Kuszlik, so ist ihrer Internetseite, nicht dem Buch, zu entnehmen, hat Architektur und Malerei studiert, hat als Architektin gearbeitet und ist seit 2015 als freischaffende Künstlerin tätig. Als Autorin, also Produzentin von Wörtern, Sätzen, Texten, gibt sie sich ausdrücklich nicht zu erkennen.
Dennoch haben die von ihr geschaffenen Gebilde sehr mit Sprache zu tun, denn sie bestehen aus Worten oder besser, zusammengesetzten und wieder auseinandergenommenen (durch Zeilenbruch), dann wieder arg verdichteten Wörtern, indem jeweils Silben drucktechnisch hervorgehoben werden, im oben wiedergegebenen Beispiel eben der Begriff NISCHE.
Oder der Wortteil BAR wird aufgegriffen in MACH/BARSCHEINBA/R bis hin zu MANIPUL/IERBAR. Das gleiche Spiel wird mit dem Wort TiSCH gespielt: EGO/ISTiSCH-FUTUR/ISTiSCHMINIMALIST/iSCH, und so weiter und so fort. Das sind also Wortspiele und Bildeindrücke, wobei die Darstellungsmethode der Buchstaben und Wörter als Kettenglieder es absichtlich erschwert, sie optisch in gewohnter Weise zu erfassen, ihre Bedeutung auf Anhieb zu erkennen. Als Betrachter*in muss man hinsehen, nachdenken, kombinieren, sich anstrengen. Neu ist die Idee nicht, zu irritieren und dadurch zu einer Reflexion über das Gesehene und die Struktur und Eigenart von geschriebenen Worten anzuregen. Wir erinnern uns an Morgensterns Fisches Nachtgesang, das nur aus diesem Titel und sonst nur aus kurzen Bögen und geraden Strichen als Takt besteht oder an Erscheinungsweisen von Gomringers konkreter Poesie oder vor allem an Schwitters Ursonate. Aber die von Stefania Kuszlik hier nahezu so systematisch angewandte Methode der Wortverfremdung, (die von Arno Schmidt offenbar empfundene Wonne der Aufzählung) ist dergestalt, dass der Eindruck eines automatisch arbeitenden Algorithmus entsteht. Die Aufzählung als Liste ist in unserer Gegenwart ein Ausdruck von Rationalität, Berechnung, Vereinfachung. Sie ist hier das Mittel der Wahl, uns an den bloßen Zeichencharakter geschriebener Worte zu erinnern.
Besonders deutlich und – ich benutze wieder den Ausdruck – augenfällig wird dies bei fremdsprachigen Textfiguren, die Kuszlik der gleichen Prozedur unterwirft. Hier haben die Betrachtenden nur Zeichen vor sich, wie dieses koreanische Beispiel (links) zeigt.
Erkennen können die des Koreanischen nicht mächtigen Betrachtenden nur eine bestimmt geformte Fläche aus Zeichen, deren Bedeutung sie nicht verstehen, und eine drucktechnisch wiederholte Hervorhebung eines immer wiederkehrenden Bildzeichens.
Auch die Bedeutung dieser sich wiederholenden Hervorhebung bleibt ihnen verborgen. Sie kennen nicht die Lautfolge dieser Zeichen, wissen nicht, wie sie ausgesprochen werden. Ahnen können sie nur, dass auch hier mit Wortteilen in gleicher Weise gespielt wird wie bei den deutschsprachigen Bildern. Die Zeichen erscheinen gleichsam nackt vor ihnen und offenbaren so in eindrücklicher Weise die Beliebigkeit von Sinn des sprachlichen Zeichens für Fremde. (de Saussure)
Am Ende dieses wundersamen Büchleins sind die 25 Sprachen aufgezählt (darunter bayerisch, schwäbisch, hawaiianisch, Sanskrit, Suaheli), aus denen die Schöpferin dieser interessanten textlichen Gebilde die Wörter dafür entnommen hat. Es handelt sich, das muss am Ende ausdrücklich doch festgestellt werden, um unbedingt starke, poetische Eindrücke.