Stefán Hörður Grímsson: Der Herbst kam ans Fenster
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Stefán Hörður Grímsson
Der Herbst kam ans Fenster
(Aus: Stefán Hörður Grímsson – Geahnter Flügelschlag, erweitere Neuauflage, Kleinheinrich 2013)
Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
Der Herbst kam ans Fenster
Heute Nacht haben die Winde
auf das Nordfenster geblasen und gesagt:
Wir sind der Herbst.
Und ich habe den Winden gelauscht
und mich selbst umschlungen,
mich selbst umschlungen und gesagt:
Schlafen, schlafen.
Doch aus dem Spiegel eines Traums
ist mir dein spöttelndes Bild
erschienen,
bleich und still.
Und ich habe aufgerichtet im Bett
meine Trauer beschwichtigt und gesagt:
Schlafen, schlafen.
Stefán Hörður Grímsson, geb. 1920 in Hafnarfjörður, gest. 2002 in
Reykjavík, wuchs für viele Jahre als Weise auf dem Land auf. Später
besuchte er die Laugavatnsschule und das Städtische Zentrum für
Erwachsenenbildung in Islands Hauptstadt. Er übte verschiedene Tätigkeiten aus,
u.a. in der Landwirtschaft und als Seemann. Nach seinem lyrischen Debüt Glugginn
snýr í norður / Das Fenster
öffnet gen Norden 1946
veröffentlichte er fünf weitere Gedichtbände, deren zweiter, Svartálfadans /
Schwarzelfentanz, 1951, seinen Ruf eines modernistischen isländischen
„Atomdichters“ festigte. Neben einer Nominierung für den Literaturpreis des
Nordischen Rats wurde ihm 1990 für seinen ein Jahr zuvor erschienenen
Gedichtband Yfir heiðan morgun / Über heiterem Morgen der
erstmals vergebene Isländi-sche Literaturpreis verliehen.