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Stefan Hölscher: Eine Ballade die so anfängt, ist

Montags=Text
Stefan Hölscher


Eine Ballade die so anfängt, ist

mein kleiner Bruder nicht scheu
er ist ein stolzer Krieger
der den Schmerz kennt aber ihm nicht weicht
wenn er gefangen genommen wird
von den dunklen Gestalten
die nachts angepirscht kommen
ihm den Mund zuhalten
damit er nicht rufen kann
wenn sie ihn mit sich nehmen
in ihr martialisches Land
wo sie ihn an den Marterfahl schnallen
ihn dürsten und hungern lassen
und seinen Körper mit schrecklichen Instrumenten quälen

stellt sich die Frage wie es weitergeht  
und mehr noch die wann war es doch gleich
dass man Balladen in der Weise geschrieben hat
wie diese hier geht       

mein kleiner Bruder macht es sich nicht leicht
er versteht den Schmerz zu nehmen  
wie der tapferste Held
dem Leid nichts anzuhaben scheint
doch nach einer Weile kriegen sie ihn immer soweit
dass er die Dinge sagt die sie hören wollen
und die Dinge tut die er tun soll für sie  
als wäre er ihr willenloses Werkzeug
ein Werkzeug aus blutigem Fleisch
das um Gnade fleht und schreit
weil sie ihm immer mehr zusetzen
bis er nicht weiter weiß

und eine Zäsur erforderlich ist  
die einen Ebenenwechsel bedingt   
der das Ganze wieder ins Gegenwärtige bringt    
so sophisticated wie’s geht man sich versteht

am Ende aller Erträglichkeit
am Ende eingebildeter Einzigartigkeit        
am Ende von Stolz und Hochmütigkeit

eine Quasi-Metaballade
fein konstruiert bis in jedes Detail

winkt der Moment reinster Selbstgewissheit
den Körper durchfließender Fraglosigkeit

um fast jeden Preis
die Türen verschlossen zu halten
den Bruder zu halten
im Haus ihn zu schützen
habe ich lange versucht
zu lange vielleicht

wobei sich Brechung und Abstand auf vielerlei Weise
realisieren ließen zum Beispiel
indem man eine andere Position einnimmt  
auf dem Sofa über Alltägliches sinnt
dessen Relevanz sogleich gegeben erscheint

doch wurde deutlich im Laufe der Zeit
es gibt keine Wahl
eine jede Vernunft hinwegwischende Macht
zieht ihn hinaus immer wieder hinaus
als ginge es um sein Leben
das zum Rande ihn drängt  

wie Ärgernisse zum Beispiel aber auch Vorhaben und Reisen
der besondere Moment als das schönste Präsent

scheu ist mein Bruder
bei der Expedition zu dem Ort des Stillstands der Zeichen
wo Physisches nur noch Physisches kennt
und diese Art von Gelenkigkeit lenkt

eine Geschichte die endlos im Übergang hängt

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