Stefan George: Der Krieg
Stefan George
DER KRIEG 
......... WEM DAS GEWISSEN DROHE
MIT EIGNER ODER FREMDER SCHANDE DRUCKE
EMPFINDET DEINE WORTE WOL ALS ROHE.
DEM OHNGEACHTET HALT DICH FREI VON SCHMUCKE
UND GANZ ERÖFFNE DAS VON DIR GESCHAUTE.
LASS ES GESCHEHN DASS WEN ES BEISST SICH JUCKE.
WENN AUCH BESCHWERLICH WERDEN DEINE LAUTE
BEIM ERSTEN KOSTEN: WIRD LEBENDIGE ZEHRUNG
MAN DRAUS ENTNEHMEN WENN MAN SIE VERDAUTE.
Dante · Göttliche Komödie · Himmel XVII
Wie das getier der wälder das bisher 
Sich scheute oder fletschend sich zerriss 
Bei jähem brand und wenn die erde bebt 
Sich sucht und nachbarlich zusammendrängt: 
So in zerspaltner heimat schlossen sich 
Beim schrei DER KRIEG die gegner an .. ein hauch 
Des unbekannten eingefühls durchwehte 
Von schicht zu schicht und ein verworrnes ahnen 
Was nun beginnt ... Für einen augenblick 
Ergriffen von dem welthaft hohen schauer 
Vergass der feigen jahre wust und tand 
Das volk und sah sich gross in seiner not. 
Sie kamen zu dem Siedler auf dem berg: 
>Liegst du noch still beim ungeheuren los?< 
Der sprach: dies frösteln war das edelste! .. 
Was euch erschüttert ist mir lang vertraut 
Lang hab ich roten schweiss der angst geschwizt 
Als man mit feuer spielte .. meine tränen 
Vorweg geweint .. heut find ich keine mehr. 
Das meiste war geschehn und keiner sah . . 
Das trübste wird erst sein und keiner sieht. 
Ihr lasst euch pressen von der äussern wucht . . 
Dies sind die flammenzeichen· nicht die kunde. 
Am streit wie ihr ihn fühlt nehm ich nicht teil. 
Nie wird dem Seher dank .. er trifft auf hohn 
Und steine · ruft er unheil - wut und steine 
Wenn es hereinbrach. Angehäufte frevel 
Von allen zwang und glück genannt · verhehlter 
Abfall von Mensch zu Larve heischen busse . . 
Was ist IHM mord von hunderttausenden 
Vorm mord am Leben selbst? Er kann nicht schwärmen 
Von heimischer tugend und von welscher tücke. 
Hier hat das weib das klagt · der satte bürger · 
Der graue bart ehr schuld als stich und schuss 
Des widerparts an unsrer söhn und enkel 
Verglasten augen und zerfeztem leib. 
SEIN amt ist lob und fern · gebet und sühne · 
Er liebt und dient auf seinem weg. Die jüngsten 
Der teuren sandt er aus mit segenswunsch . . 
Sie wissen was sie treibt und was sie feit . . 
Sie ziehn um keinen namen – nein um sich. 
IHN packt ein tiefres grausen. Die Gewalten 
Nennt er nicht fabel. Wer begreift sein flehn: 
>Die ihr die fuchtel schwingt auf leichenschwaden ·
Wollt uns bewahren vor zu leichtem schlusse 
Und vor der ärgsten · vor der Blut-schmach!< Stämme 
Die sie begehn sind wahllos auszurotten 
Wenn nicht ihr bestes gut zum banne geht. 
Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein ·
Nur viele untergänge ohne würde . . 
Des schöpfers hand entwischt rast eigenmächtig 
Unform von blei und blech · gestäng und rohr. 
Der selbst lacht grimm wenn falsche heldenreden 
Von vormals klingen der als brei und klumpen 
Den bruder sinken sah · der in der schandbar 
Zerwühlten erde hauste wie geziefer . . 
Der alte Gott der schlachten ist nicht mehr. 
Erkrankte welten fiebern sich zu ende 
In dem getob. Heilig sind nur die säfte 
Noch makelfrei versprizt - ein ganzer strom. 
Wo zeigt der Mann sich der vertritt? das Wort 
Das einzig gilt fürs spätere gericht? 
Spotthafte könige mit bühnenkronen · 
Sachwalter · händler · schreiber – pfiff und zahl. 
Auch in verbriefter ordnung grenzen: taumel
Dann drohnde wirrsal . . da entstieg gestüzt 
Auf seinen stock farblosem vororthaus 
Der fahlsten unsrer städte ein vergessner 
Schmuckloser greis . . der fand den rat der stunde 
Und rettete was die gebärdig lauten 
Schliesslich zum abgrundsrand gebracht: das reich . . 
Doch vor dem schlimmren feind kann er nicht retten. 
>Fehlt dir der blick für solch ein maass von opfern 
Und kraft der allheit?< Diese sind auch drüben. 
Das nötige werk der pflicht bleibt stumpf und glanzlos 
Und opfer steigt nicht in verruchter zeit . . 
Menge ist wert · doch ziellos · schafft kein sinnbild · 
Hat kein gedächtnis – Was fragt sich der Weise? 
Sie troff im schwatz von wolfahrt · menschlichkeit 
Und hebt nun an das greulichste gemetzel. 
Nach speichel niedrigster umwerbung: geifer 
Gemeinsten schimpfs! . . und was sich eben hezt 
Umkröche sich geschmiegt wenn sich erhöbe #
Furchtbar vor ihm das künftige gesicht. 
Und was schwillt auf als geist! Solch zart gewächs 
Hat fernab sein entstehn . . . Wie faulige frucht 
Schmeckt das gered von hoh-zeit auferstehung 
In welkem ton. Wer gestern alt war kehrt nicht 
Jezt heim als neu und wer ein richtiges sagt 
Und irrt im lezten steckt im stärksten wahn. 
Spricht Aberwitz: >Nun lernten wir fürs nächste<
Ach dies wird wiederum anders! . . dafür rüstet 
Nur vollste umkehr: schau und innrer sinn. 
Keiner der heute ruft und meint zu führen 
Merkt wie er tastet im verhängnis · keiner 
Erspäht ein blasses glühn vom morgenrot. 
Weit minder wundert es dass soviel sterben 
Als dass soviel zu leben wagt. Wer schritthielt 
Mit dem Jahrhundert darf heut spuk nur sehn. 
Der hilft sich · kind und narr: >Du hasts qewollt<
Alle und keiner – heisst das bündige urteil. 
Der lügt sich · schelm und narr: >Diesmal winkt sicher 
Das Friedensreich.< Verstrich die frist: müsst wieder 
Ihr waten bis zum knöchel bis zum knie 
Im most des grossen Keltrers . . doch dann schoss 
Ein nachwuchs auf · der hat kein heuchel-auge: 
Er hat das schicksalsauge das der schreck 
Des ehernen fugs gorgonisch nicht versteint. 
In beiden lagern kein Gedanke – wittrung 
Um was es geht . . . Hier: sorge nur zu krämern 
  Wo schon ein andrer krämert . . ganz zu werden 
Was man am andren schmäht und sich zu leugnen 
>Ein volk ist tot wenn seine götter tot sind<
Drüben: ein pochen auf ehmaligen Vorrang 
Von pracht und sitte · während feile nutzsucht 
Bequem veratmen will . . im schooss der hellsten 
Einsicht kein schwacher blink · dass die Verpönten 
Was fallreif war zerstören · dass vielleicht 
Ein >Hass und Abscheu menschlichen qeschlechtes<
Zum weitren male die erlösung bringt. 
Doch endet nicht mit fluch der sang. Manch ohr 
Verstand schon meinen preis auf stoff und stamm ·
Auf kern und keim . . schon seh ich manche hände 
Entgegen mir gestreckt · sag ich: o Land 
Zu schön als dass dich fremder tritt verheere: 
Wo flöte aus dem weidicht tönt · aus hainen 
Windharfen rauschen · wo der Traum noch webt 
Untilgbar durch die jeweils trünnigen erben . . 
Wo die allblühende Mutter der verwildert 
Zerfallnen weissen Art zuerst enthüllte 
Ihr echtes antlitz . . Land dem viel verheissung 
Noch innewohnt – das drum nicht untergeht! 
Die jugend ruft die Götter auf . . Erstandne 
Wie Ewige nach des Tages fülle . . Lenker 
Im sturmgewölk gibt Dem des heitren himmels 
Das zepter und verschiebt den Längsten Winter. 
Der an dem Baum des Heiles hing warf ab 
Die blässe blasser seelen- dem Zerstückten 
Im glut-rausch gleich . . Apollo lehnt geheim 
An Baldur: >Eine weile währt noch nacht · 
Doch diesmal kommt von Osten nicht das licht.< 
Der kampf entschied sich schon auf sternen: Sieger 
Bleibt wer das schutzbild birgt in seinen marken 
Und Herr der zukunft wer sich wandeln kann. 
(In Stefan George: Der Krieg, 1917)
 
 
