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Slata Roschal: Ostergedicht

Gedichte > Gedichte der Woche

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Foto: © Ksenia Laevskaia
Slata Roschal
Ostergedicht
Gemischter Chor (drei-
stimmig)
Noch bevor die Frauen
wieder zu sich kommen
Zwei Männer mit leucht-
enden Gewändern, Boten
Gottes, treten herbei

Die Kirche in Wustrow
auf dem Fischland wur-
de am 14. September 1873
im Beisein des Großher-
zogs von Mecklenburg
eingeweiht.
Was sollen wir anderes
tun als uns freuen über
diese Begegnung

Zwei der drei mittelal-
terlichen Glocken wur-
den 1917 für Kriegszwe-
cke eingeschmolzen.
Dann aber soll das Blut
euer Zeichen sein an den
Häusern, in denen ihr seid
Man kann die Auferste-
hung nicht fassen, man
muss sie glauben

Das Ehepaar Bernhard
stiftete 1928 zwei neue
Glocken zum Andenken
an den einzigen Sohn,
der im Ersten Weltkrieg
gefallen war.
Und alle Erstgeburt in
Ägyptenland soll sterben

Die Jünger sehen ihn mit
inneren Augen, auch
müssen wir mit inneren
Augen schauen

Eine dieser beiden
Glocken und die letzte
mittelalterliche Glocke
wurden im Zweiten
Weltkrieg eingeschmol-
zen.
Die Zeit aber, die die Israe-
liten in Ägypten gewohnt
haben, ist vierhundertdrei-
ßig Jahre

Wer mit dem Auferstan-
denen feiert, der lässt
die Dinge nicht so, wie
sie sind

Nach dem Krieg sam-
melte die Gemeinde für
neue Glocken, die 1957 in
Apolda als Stahlgussglo-
cken entstanden.
Aber die Israeliten gingen
trocken mitten durchs
Meer
So haben wir die begrün-
dete Hoffnung

1977 wurde eine mittelal-
terliche Gerichtsglocke
als Stundenglocke über
der Galerie angebracht.


Und sie sahen die Ägypter
tot am Ufer des Meeres
liegen


Aus Slata Roschal: Ich brauche einen Waffenschein / ein neues bitteres Parfüm / ein Haus in dem mich keiner kennt. Heidelberg (Verlag Das Wunderhorn) 2025. 130 Seiten. 24,00 Euro.
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