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Sjón: Verslehre

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Foto: Wiktoria Bosc
Sjón

Verslehre

(Aus: Ljóðbréf Nr. 6 / Poesiebrief Nr. 6, Tunglið forlag, Reykjavík 2022)

Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer


ich schnappe mir den zweiten band
des isländischen wörterbuchs

schlage ihn zufällig auf
und denke mir:

„was auch immer du sein wirst, sei dir gewiss,
ich werde dich genau so sehr lieben
wie deine brüder und schwestern“

der finger kommt auf der seite zum stehen

verbrennungsmotor (su. m. sg.)

ich wiederhole das spiel,
um dir einen partner zu finden

körperstärke (su. f. sg.)

und ich sage zu euch:

„geht und sammelt andere wörter um euch,
ich werde vielleicht nicht mögen, was aus euch wird,
aber meine liebe zu euch wird nie verblassen“

und dann wiederhole ich das spiel:

spezialeffekt (su. m. sg.)


Sjón (Sigurjón Birgir Sigurðsson), geboren 1962 in Reykjavik, lebt nach mehreren Auslandsaufenthalten, z.B. in London und in den Niederlanden, wieder in seiner Geburtsstadt. Er ist ein äußerst vielseitiger Autor, schreibt  Gedichte, Romane, Opernlibretti und Drehbücher, aber auch Songtexte, u.a. für Björk, mit der er gemeinsam den Eröffnungssong für die Olympischen Spiele 2004 in Athen geschrieben hat. Zuvor schon waren seine Texte für Lars von Triers Film "Dancer in the Dark" (2000) für den Oscar nominiert worden.
 
Sjóns künstlerische Wurzeln liegen im Surrealismus, im Punk und in der Performance-Kunst. Von 1980-1986 gehörte er der surrealistischen, performance-orientierten Poetry-Gruppe "Medusa" an. Als Musiker trat Sjón als "Johnny Triumph" unter anderem mit den 'Sugarcubes' in Erscheinung.
 
Seinen ersten Lyrikband veröffentlichte er im Alter von 16 Jahren. Für seine folgenden, inzwischen in mehr als 30 Sprachen übersetzten Werke erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise. So wurde er 2005 für seinen Roman „Schattenfuchs“ mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates geehrt, 2013 für den Roman „Der Junge, den es nicht gab“ mit dem Isländischen Literaturpreis. In diesem Jahr wurde ihm der Nordische Preis der Schwedischen Akademie (Kleiner Nobelpreis) zuerkannt. 2018 erschien in der Edition Rugerup mit „bewegliche berge“ ein Band mit einer Auswahl seiner Gedichte, 2020 im S. Fischer Verlag die Romantrilogie „CoDex 1962“. Sein neuester, 2022 erschienener Lyrikband trägt den Titel „Næturverk / Nachtarbeit“. Eine Übersetzung ins Deutsche ist in Vorbereitung.
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