Sirka Elspaß: hungern beten heulen schwimmen
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Florian Birnmeyer
Sirka Elspaß: hungern beten heulen schwimmen. Gedichte. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2025. 80 Seiten. 20,00 Euro.
Zwischen Trauer und Gebet
Über Sirka Elspaß’ „hungern beten heulen schwimmen“
Sirka Elspaß hat mit hungern beten heulen schwimmen (Suhrkamp, 2025) etwas geschaffen, das sich jeder schnellen Deutung entzieht, und gerade darin seine Wirkung entfaltet. Ihre Gedichte sind keine abgeschlossenen Aussagen, sondern tastende Bewegungen. Kein Zyklus, der sich schließt, sondern ein Schweben zwischen Erschöpfung und Aufbruch, zwischen Alltag und Transzendenz.
Der Titel selbst klingt wie ein Gebet aus dem Inneren einer überforderten Generation: hungern beten heulen schwimmen, eine Abfolge von Tätigkeiten, die zugleich Über-lebensstrategien wie auch Rituale sind. Hungern als Selbstverweigerung, Beten als Sehnsucht nach Verbindung, Heulen als Katharsis, Schwimmen als Versuch, über Wasser zu bleiben. In diesen vier Verben steckt bereits eine ganze Poetik des Weitergehens, eine Bewegung gegen das Stehenbleiben. Die Bewegung spielt für den Band eine zentrale Rolle:
von arm- und beinbewegungen nicht nurwissen sondern sie auch ausführensehr sicherist die robbe wie sie sich da vornins wasser schiebt auch nur ein engeland shy aboutsehr tröstlich
Elspaß, 1995 in Oberhausen geboren, hat Kreatives Schreiben in Hildesheim und Sprachkunst in Wien studiert. Ihre Texte tragen die Handschrift dieser Ausbildung: präzise, intellektuell wach, aber nie hermetisch. Jeder Bruch, jede Pause, jede Wiederholung wirkt gesetzt, um dem Unfass-baren überhaupt eine Sprache zu geben.
die alte leier der möglichkeitsraumI had a motherI don’t think I risk anotherdiesmal nicht mich durchgeistertimmer die idee einer angeschlagenenwie geht es deinem knie
Diese Verse wirken wie Splitter eines Bewusstseinsstroms, in dem die Trauer über eine Trennung, Schmerz und Selbstbefragung ineinander übergehen. Eine Stimme, die spricht aus dem Inneren einer Generation, die zu viel spürt und zu wenig daran glaubt, dass sie mit ihren Worten noch etwas bewirken kann. Auf dem Erlanger Poetenfest, wo Elspaß las, wirkte sie wie eine Anklagende, selbstbewusst und überzeugt, emanzipiert und klar in ihrer Haltung.
Gegen die Zumutungen des digitalen und großstädtischen Alltags setzt dieser Band, der der zweite nach dem preisgekrönten Debütband ich föhne mir meine wimpern (Suhrkamp, 2022) ist, dagegen bewusst die Poesie.
Der Band beginnt mit einem Zitat John Ashberys, des amerikanischen Dichters und Pulitzer-Preis-Trägers: „Perhaps an angel looks like everything.“ Hier klingt bereits die trans-zendentale Komponente in Elspaß’ Lyrik an. Es geht um Wahrnehmung, um das Sakrale im Profanen, um das Beten als Geste, die nicht mehr an Gott, sondern an ein Gegenüber gerichtet ist:
dem hunger kann ich abgewinnendass er nicht geht dem betendass mich jemand sieht dem schwimmenein ziel
Die Spiritualität dieser Texte ist säkularisiert, der Glaube an Gott ist ein zutiefst individueller Glaube geworden, das Pathos alltäglich, das Gebet ist mehr ein Gespräch mit sich Selbst und vielleicht einem Du.
Dieses Du ist die große Unbekannte in diesen Gedichten. Wir nehmen das Gegenüber vor allem in seiner Abwesenheit wahr, als Adresse, als Ziel der Sorge, der Gedanken und der Trauer, aber auch der Klage. Die sprechende Stimme befindet sich mitten im Prozess des Verlusts, im Versuch, eine Trennung sprachlich zu fassen. Daraus entsteht eine Dichtung, deren wütende Passion und zugleich zarte Verletzlichkeit mit bemerkenswerter Treffsicherheit berührt.
wen glaubst du anderes zu finden alsdreh mir bitte keinen strickdaraus verrat mich nicht anwir haben vieles falsch gemacht ich habevieles noch immer nichtgelernt
Wiederkehrende Motive, wie die Vögel, z. B. die Krähe, die Taube, der Storch oder doe Amsel, stehen für Natur, in der sich das lyrische Ich auf verspielte Weise zu erkennen versucht, aber auch als Metapher für die Zeitumstände, in denen wir leben:
sattle eine amsel aufsie hat ein kleineres gesicht als ichweiß die antwort selber nichtkeine sorgekeine sorge alles gut
Die Natur scheint als Gegenpol zur Technik auf, auch wenn letztere die Hegemonie bereits errungen hat. Andere Dichotomien in diesem Band sind Körper und Geist und Glaube und Unglaube. Im Mittelpunkt steht allerdings das Gefühl der Einsamkeit und des Getrenntseins vom Du, das ersetzt werden soll.
Die „sorge“, ein entscheidender Begriff des Bandes, taucht im Text vor allem in der Kombination „keine sorge“ oder mit „alles gut“ auf – und schon wird deutlich, dass eben für das lyrische Ich nicht alles gut ist. Die Sorge kreist um die Trennung, um das Du, so heißt es auch als Analyse: „wir haben / vieles falsch gemacht". Vielleicht auch um das Ich und um Sprache selbst. Beide erleben wir in den Texten als spielerisch, bildhaft, aber auch unzuverlässig. Denn das Ich dieser Texte scheint an manchen Stellen seinen eigenen Worten keinen uneingeschränkten Glauben schenken zu können:
ich weiß mittlerweile sollte ich wissenwann ich es besser weißgestern zum beispiel und jetzt gerade auchkein gott schaut mir auf die fingereine sehnsucht schaut mir aus dem bauch
Zwischen den Texten blitzen englische Fragmente und Zitate von Anne Carson, Sylvia Plath, Billie Holiday, Judy Collins auf. Elspaß errichtet daraus einen weiblichen, vielstimmigen Kanon, der sich der männlichen Tradition entzieht, ohne sie zu leugnen. Hinter der poetischen Strenge liegt eine Haltung der Offenheit. Das Schreiben wird hier zur Bewegung, nicht zur Lösung. Diese Gedichte sind tastend, fließend, vorläufig – und gerade darin liegt ihre Kraft.
hungern beten heulen schwimmen, das ist kein Bekenntnis, keine Pose. Es ist eine poetische Haltung des Überlebens. Es ist eine Klage, die Elspaß an sich und an uns richtet.