Simone Weil: Die Pforte
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						Simone Weil
Die Pforte
Macht uns auf das
						Tor! Wir wollen Gärten sehn,
						
						Kühles Wasser
						trinken, das der Mond beschien.
						
						Fremd sind wir.
						Die heiße Straße ist uns feind.
						
						Ziellos irren wir
						und finden nirgends Ruh.
						
						Blumen wolln wir
						sehn und nie mehr durstig sein.
						
						Hoffend, wartend,
						leidend stehn wir vor dem Tor.
						
						Schläge werden es
						zertrümmern nötgenfalls,
						
						Druck und Stöße
						auch. Doch ach! Es ist zu stark.
						
						Warten,
						schmachten, auf es blicken ist umsonst.
						
						Fest verschlossen
						bleibt, was wir hier vor uns sehn.
						
						Starren Blicks und
						unter Qualen weinen wir.
						
						Immer sehn wir es.
						Die Zeit wird uns zur Last.
						
						Vor uns dieses
						Tor! Das Wollen hilft uns nicht.
						
						Besser ist es,
						ohne Hoffnung wegzugehn.
						
						Niemals kommen wir
						hinein. Wir sind es leid.
						
						Da! Das Tor ist
						offen! Schweigen strömt heraus.
						
						Keine Gärten,
						keine Blumen zeigen sich.
						
						Nur der weite
						Raum, die Leere und das Licht, -
						
						Das ist
						gegenwärtig und erfüllt das Herz,
						
						Wäscht die Augen,
						die der Staub fast blind gemacht.
						
						(In einem Brief an Jean-Marie Perrin, 1941/2, als "Dreingabe")
								 
 
