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Šimon Leitgeb: Betonstrand

Montags=Text

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Foto: Stanislav Brtna
Šimon Leitgeb – Betonstrand

(Aus dem Tschechischen von Patrik Valouch)


URLAUB

adam geht nicht in die schule
sondern in die arbeit
um in die schule gehen zu können

er redet mit männern in autos
und kriegt geld dafür

er hat nun genug
um auf urlaub zu gehen



LEBENSELIXIERE

von der arbeit führt ein weg
markiert mit weißen streifen
die schritte darauf
wirken wie lebenselixiere

/
„gehen wir auf urlaub“
schreit adam

onkel schläft
seit dem ich
ihn das letzte mal sah



NOMADEN

guck hinter die hügel

unter uns wogen die wiesen
wie das meer

adam
ich weiß nicht wo wir sind

unten gehen wir auf straßen wie verpackte hühner
und piepsen uns an bei der pforte zum paradies

da unten ist jeder von uns ein kind

wir gucken hinter die hügel
stellen uns vor
dass wir auf ihnen stehen
hinuntergucken

unsere wege sind landkarten

auf dem weg
sitzen zwei betrunkene nomaden
und genießen etwas
was uns übersteigt

frag nach
wie weit es zum meer ist



Šimon Leitgeb (*1996) ist ein tschechischer Lyriker, Performer und ein sehr umtriebiger Organisator von Kulturevents mit internationaler Beteiligung in der südböhmischen Stadt České Budějovice (Budweis) – z. B. Mezi náma (Unter uns) und Literatura žije! (Literatur lebt!). Die vorliegende Auswahl stammt aus dem zweiten Gedichtband Betonová pláž (dt. Betonstrand), der mit dem Jiří-Orten-Preis 2021 ausgezeichnet worden ist (eine der wichtigen Lyrikpreise für Dichter unter 30 Jahren). In diesem Gedichtband zeigt Leitgeb einen jungen, sich formierenden Menschen – das lyrische Subjekt erinnert in seiner neugierigen, phantasie-bewussten Sensibilität an Holden Caulfield aus The Catcher in the Rye, der in einer stillen, aber vitalen Melancholie die Verluste der Kindheit und die Tücken des Erwachsenenalters reflektiert und diese naiv-zartfühlenden Betrachtungen in lakonische, aber markige Mikro-Geschichten integriert.
Der Übersetzer dankt Klaus Anders für die wertvollen Anregungen und die kritische Durchsicht.

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