Simon Konttas: Drei Gedichte
Montags=Text

Simon Konttas
Drei Gedichte
Ihr Hund
Ihr kleiner Hund ist alt und blind.
Vor dreißig Jahren war sie selber jung.
Sie gehen hier im Park dieselben Wege immer,
winters und sommers, bei jedem Wetter.
Sie ist ein Mensch, über den man
nichts sagen kann und das weiß sie selber.
Jahr für Jahr und Tag um Tag,
immer beim Spaziergang,
denkt sie nach, was sie sagen könnte
über sich selber,
und ihre Verwunderung angesichts der Bäume,
der nassen Herbstblätter auf dem Waldboden
ist auch nichts Neues mehr: das alles
erinnert sie an zwei glückliche Monate
vor zwanzig Jahren.
Und sie glaubt, wenn sie nur verwundert genug
wäre,
würde sich auch jetzt das Geheimnis lüften,
noch einmal.
Den Hund hat sie sich zugelegt kurz
danach.
Und jetzt ist er alt und blind.
Zuhause zieht sie sich ihre feuchten Schuhe
aus,
wirft die nassen Socken in den Wäschekorb.
Wenn sie jemand fragte: sie könnte nichts
sagen.
Schon will sie nach dem Fotoalbum greifen,
aber die Fernbedienung liegt näher.
Der leere Aschenbecher auf dem
Wohnzimmertisch,
der tut ihr fast leid – aber sie könnte nicht
sagen,
warum.
Fotos
Ein Abendspaziergang im Winter, bei Zwielicht,
der Himmel ein schwerwolkenes Grau,
die Straßenlaternen leuchten matt.
Beim Gehen ein Blick ins Fenster eines
Einfamilienhauses
in einer Wohnsiedlung, wo die Stromleitungen
vom Wipfel
eines nackten Pfahls zum anderen gespannt sind
wie Wäscheleinen.
Ich
fall nicht rein auf eure Lügen,
auf
euer Lachen und euer Geschwätz.
Ich
könnte mich nicht selbst betrügen.
Ich
lebe nach meinem eignen Gesetz.
Im gelb erhellten Wohnzimmer sehe ich eine
Wand:
Bedeckt mit Porträtfotos, leblosen
Fotoaufnahmen von Kindern,
aber Menschen sehe ich keine im Zimmer;
sitzen um diese Uhrzeit wohl alle
vorm Fernseher.
Wo
Freude ihr seht, seh ich Trauer.
Wo
Trauer ihr seht, seh ich Welten,
die,
unausgeschöpft, ohne Dauer,
vom
Anfang der Zeiten schon gelten.
Ich strecke mich, um mehr zu sehen, aber
da ist nur die eine Wand mit den Fotos.
Ein ganz normales Einfamilienhaus mit
Zaun.
So gehe ich weiter,
die Hände in den Hosentaschen,
denn es ist kalt – oder ist es nur das
Empfinden
von sinnloser Ausweglosigkeit, das mich
frösteln macht?
Und ein Gefühl, das ich nicht in Worte fassen
kann,
etwa: Fotos als Beweis der Lebensleistung,
Kinder, Verwandte …
Aber der Gedanke ist unvollkommen,
zwielichtig und dunkel.
Wir
müssen uns darum ertragen,
was
anderes bleibt uns nicht mehr.
Hätten
wir uns was zu sagen,
so
wöge das alles nicht schwer …
Aber inzwischen ist es Nacht geworden,
die Straßen sind feucht
und mir bleibt nichts übrig als heimzugehen
zu Pflichten, die mir ebenso absurd erscheinen
wie diese Fotos,
ebenso brutal in ihrer unerbittlichen,
keinem Argument weichenden Ordnung der Dinge.
Das fromme Kind
Kennen Sie das fromme Schulkind,
das nach den Stunden immer,
meistens um die Mittagszeit,
mit sittsamem Ernst sich begibt
in die Kapelle seiner Schule, wo
durch die bunten Glasscheiben
das Mittagslicht so schläfrig fällt
und Flecken malt aus flirrendem Bunt
auf die kalkweiß hohen Wände?
Kennen Sie das fromme Schulkind,
das in diesem stillen Kirchensaal, wo
kein Mensch zu dieser Uhrzeit ist,
nicht einmal ein Priester, sitzt?
Versunken in sich selber und in Gott,
in ein Gebet zum Dank des Tages.
Ganz allein sitzt’s da, das Kind,
betrachtend still die bunten Flecken,
betrachtend auch die Plastikblumen,
die seit Jahren schon auf dem Altar
dem Tode, scheinbar lebend, trotzen.
Es betrachtet auch den grünen Vorhang,
schwer, aus Filz, den weichen Teppich,
der sich hier oben glatt erstreckt
und fühlt mit einer ruhigen Lust
das harte Holz der Kirchenbank,
das kleine Bisschen frommer Folter,
des ein harter Geist bedarf,
um sich selber zu ertragen. Kennen Sie
das fromme Schulkind denn,
wissen Sie, wohin es ging und was
aus ihm nach Jahren wurde?
Die bunten Flecken kräuseln sich
noch immer auf der weißen Wand
und still wie eh und je
rafft die Madonna auf dem Sockel dort
überm Tabernakel ihr gipsernes Gewand.