Sigune Schnabel: Drei neue Gedichte
Gedichte > Lyrik heute
						 
						Sigune Schnabel
Drei neue Gedichte
Gedränge
						
						Dein Gesang verstummt
						hinter 
						
						verzweigten
						Menschenströmen.
						
						An ihrem Ufer bin ich
						fremder Gast,
						
						trinke ich kalt
						gewordene Erinnerung.
						
						Du wartest auf ein
						Schiff, 
						
						das übersetzt; ich
						wate 
						
						durch den
						Großstadtsumpf
						
						und jage Stunden.
						
						Gefiedert ist ihr
						Bauch und weiß,
						
						dass sie zu schade
						sind
						
						für meine Hände. 
						
						Noch einmal wende ich
						
						mich um und winde
						mich.
						
						Ich binde Reben um
						mein Wort;
						
						ich gehe fort aus dem
						
						verwickelten Gelände. 
						
						Mit einem Knacken
						bricht am Abend
						
						abgenutzte Zeit. 
						
						Bahnhofsvorplatz
						
						Wir
						zerfielen im Außenbereich,  
						
						wo
						es keine Worte mehr gibt
						
						und
						der Asphalt heller glitzert
						
						als
						Blicke.
						
						Wir
						reichten uns das Schweigen
						
						in
						allen Farben,
						
						angeraute
						Glassplitter,
						
						die
						wir behutsam
						
						in
						unsere Münder legten. 
						
						Wie
						wir uns nach etwas sehnten,
						
						ich
						nach dir 
						
						und
						du nach Abstand.
						
						Am
						Bahnhof las ich die Kontaktanzeigen
						
						in
						fremden Gesichtern,
						
						ohne
						Antwort zu geben.
						
						An
						meinen Händen haftete
						
						Erinnerung.
						
						
						Als mir Schnee unter die
						Schädeldecke fiel,
						
						in meiner
						ersten Nacht als Tote,
						
						trank ich kalte
						Kräuter
						
						und löste den
						Schmerz
						
						in einer
						Schale,
						
						die nach
						schwarzen Nelken roch. 
						
						Ich kroch unter
						die Decke 
						
						und grub ein
						Loch
						
						in die
						Erinnerung. 
						
						Noch schmeckt
						die Zeit
						
						nach dumpfer Leidenschaft
						
						und sumpfig
						klingt das Wort
						
						von dir – ich
						sinke
						
						ein; ich trinke
						
						gegen das
						Vergessen an
						
						und schlucke
						alten Schlamm.
						
						Im klammen
						Zimmer
						
						rinnt ein Fluss
						durch meinen Kopf,
						
						den ich nicht
						hören kann. 
						
						In Sigune Schnabel: Auf Zimmer drei liegt die Sehnsucht.
						Gedichte. Bilder von Simon Lèbe. Vechta (Geest-Verlag) 2021. 140 Seiten. 12,00
						Euro.
								 
						 
 
