Signum, Sonderheft 19
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Michael Braun
Zeitschrift des Monats
Signum,
Sonderheft 19 : Zur Zeitschrift „Die Kolonne“
Die gespenstische
Ambivalenz der Inneren Emigration

Es ist
heute weitgehend in Vergessenheit geraten, dass einige hoch angesehene
Protagonisten der deutschen Lyrik in den Jahren der nationalsozialistischen
Diktatur relativ unbehelligt schreiben und publizieren konnten. Während das
„Dritte Reich“ sein Terrorregime aufbaute, arbeiteten einige bedeutende Dichter
an ihrer Karriere als freie Schriftsteller. „Lieber überleben, lieber noch da
sein, weiter arbeiten, wenn erst der Spuk vorüber war.“ Mit dieser Formel
beschrieb Marie Luise Kaschnitz die Mentalität der Autoren der sogenannten
Inneren Emigration, die in der Nazi-Zeit im Lande blieben, ohne sich
ideologisch mit den Wortführern der an die Macht gelangten Brutalität gemein zu
machen. Christoph Meckel hat einmal im „Suchbild“ über seinen Vater, den
Dichter Eberhard Meckel, von der „gespenstischen Ambivalenz“ dieser Generation
gesprochen. Autoren von Rang, wie Johannes Bobrowski, Peter Huchel, Günter Eich oder Karl Krolow hielten an der
Illusion der Autonomie der Kunst auch dann noch fest, als sich die Rücksichtslosigkeit
der neuen Machthaber bereits in Mordaktionen gegen ihre Gegner entlud. Erst der
von Hitler entfesselte Vernichtungskrieg zerfetzte die Illusion vom
Kunstschönen als Rückzugsort.
Einer
literarischen Schlüsselfigur aus den späten Jahren der Weimarer Republik, dem
Zeitschriftengründer Martin Raschke, wird in Meckels „Suchbild“ kein gutes
Zeugnis ausgestellt. Er gilt dort als ideologisch anfälliger Autor, der seine
Überzeugungen nach 1933 auf „deutsch-nationalem Boden“ verankern wollte.
Andererseits: Martin Raschke, der von 1929 bis 1932 in drei Jahrgängen die
monatlich erscheinende Zeitschrift „Die Kolonne“ gründete und dort die
wichtigsten jungen deutschen Schriftsteller versammelte, kann als Anstifter und
Vordenker einer neuen Autorengeneration gelten. Gemeinsam mit seinem
Weggefährten A. Arthur Kuhnert formierte er zunächst die „junge Gruppe
Dresden“. In Berlin lernten Raschke und Kuhnert dann den jungen Günter Eich
kennen, um alsbald mit großem Enthusiasmus „Die Kolonne“ aus der Taufe zu heben.
Raschke entwarf „Die Kolonne“ als eine Plattform für junge, avancierte
Literatur, die sich vor allem gegen die „Neue Sachlichkeit“ Erich Kästners und
deren wilde Großstadt-Begeisterung positionierte und dagegen eine Poetik
magischer Naturbetrachtung setzte.
Den
Leistungen Martin Raschkes und der Ausstrahlungskraft der Zeitschrift „Die
Kolonne“ hat nun die Dresdner Zeitschrift Signum ein profundes und in
jeder Hinsicht aufschlussreiches Sonderheft gewidmet. Die Signum-Herausgeber
Norbert Weiß und Jens Wonneberger betreiben schon seit vielen Jahren
literarische Spurensicherung zur Arbeit der „Kolonne“ und haben nun in ihrem
Sonderheft neue Materialien vorgelegt. Norbert Weiß liefert ein randscharfes
Porträt des jungen Raschke, der vom Geist der bündischen Jugendbewegung geprägt
war. Jens Wonneberger porträtiert Raschkes Weggefährten A. Arthur Kuhnert, der
später gemeinsam mit Günter Eich einen Roman verfasste. Katrin Nitzschke
rekonstruiert die verschlungenen Pfade, auf denen man 1987 den Nachlass
Raschkes sichern und in den Bestand der Sächsischen Landesbibliothek überführen
konnte. Es ist das Verdienst des Dichters Wulf Kirsten, dass diese Aktion
damals gelingen konnte. In seiner souveränen Bilanz der bisherigen Raschke-Forschung
fasst Wulf Kirsten nun in Signum noch einmal zusammen, welche
literarische Dynamik die „Kolonne“ um 1930 auslöste. In den drei Jahren ihres
Bestehens publizierten hier Autoren, die später zu prägenden deutschen
Schriftstellern wurden: Peter Huchel, Hermann Kasack, Gertrud Kolmar, Theodor
Kramer, Günter Eich, Elisabeth Langgässer oder Paul Zech. Zu den Autoren, die
sich in der „Kolonne“ besonders stark exponierten, gehörte der junge Günter
Eich, der zuvor in Paris Sinologie studiert hatte. Auf eine Umfrage unter
Autoren zu den „Tendenzen ihres Schaffens“ antwortete Eich 1930 in der
„Kolonne“ mit einer demonstrativen Absage an alle Parteilichkeit: „Ich bin
zunächst Lyriker und alles, was ich schreibe, sind mehr oder minder >innere
Dialoge<. …Und ich habe nicht das geringste auszusagen.“ Auch nach dem Ende
der „Kolonne“ führte Eich seine Zusammenarbeit mit Martin Raschke fort. Mitte
der 1930er Jahre verfassten beide Autoren für das neue Medium Rundfunk die
Reihe „Monatsbilder des Königswusterhäuser Landboten“, eine Reihe von
Kalendergeschichten und Gedichten, die nur aufgrund der geschmeidigen
Zusammenarbeit von Eich und Raschke mit den neuen Herren des Deutschlandsenders
möglich war. „Raschkes Verstrickungen in das nationalsozialistische Terrorregime
sind im Detail nur schwer nachzuvollziehen“, resümiert Wulf Kirsten in Signum. Bevor Raschke als Berichterstatter einer
Propaganda-Kompanie in Russland 1943 an einem Bauchschuss starb,
veröffentlichte er in der Postille Das Innere Reich einige Sätze, die in
ihrem martialischen Pathos seinen Nachruhm ziemlich beschädigt haben: „Nun ist
ein großes Feuer angezündet. Der Ofen des Schicksals, der manchem nur als
Molochopferstätte erscheinen will, glüht wie lange nicht. Du vertrautest dem
Brande an, was Du geformt hast, all Deine schönen Gefäße, was Du über den Tod
denkst und was über die Schönheit, was über die Wiedergeburt und was über die
Bedeutung der Künste, und hoffst, das Feuer möge sie brennen und unzerbrechlich
machen…Was in uns ist an Dauerndem, wird in der Flamme bestehn.“
Signum,
Sonderheft 19: „Zwischen Wunder und Sachlichkeit. Die Kolonne, Zeitschrift für
Dichtung. Signum, c/o Norbert Weiß, Liliengasse 18, 01067 Dresden. 122 Seiten,
8,20 Euro.