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Sibylla Schwarz: Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer?

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Hendrik Jackson

Zu Sibylla Schwarz: "Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer?"


Literatur der Vergangenheit pflegen wir "deduktiv" anzugehen: Umstände, historisches Colorit, Konventionen, Biographie, Werk, historischer Sprachgebrauch etc. – all das legen wir für gewöhnlich bereit, wenn wir in die Lektüre der Dichterinnen aus vergangenen Epochen steigen. Stoßen den hermeneutischen Zirkel von oben in die Mitte der Zeit und lassen dann die Gedanken und das Wissen enger kreisen. Für die zeitgenössischen Dichterinnen scheint das nicht zu gelten. Wenig aussagekräftige Informationen stehen einem oft zur Verfügung (Preise, Geburtsort, Alter), die Lektüre beginnt fast unmittelbar, induktiv, manchmal über einen persönlichen Zugang (Lesungen, Bekanntschaften), was die implizite Annahme, man habe schon einen gemeinsamen Verstehenshorizont, der kaum der weiteren Explikation bedürfe, herausbildet oder verstärkt.

Bei dem kleinen Gedichtband "Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer?" von Sibylla Schwarz, erschienen bei Reinecke & Voß, will ich es anders halten, obwohl es, wie ich zugegebenermaßen weiß, sehr alt ist. Ich simuliere Unbefangenheit: "Ist Lieb ein Feur", beginnt das erste Gedicht des gleichnamigen ersten Kapitels des Buches. Die Schreibweise lässt auf eine spätmittelalterliche oder wohl barocke Dichterin schließen.
Gleich also viel die Rede von Liebe. Frauen schrieben oft von Liebe, das mag auch heute noch so sein. Aber darauf will ich mich nicht kaprizieren, zu viele mühsame Untersuchungen müssten so diesem Gegenstand einer Auseinandersetzung vorausgehen. Lieber ganz konkret:

"Ist Lieb ein Feur / und kann das Eisen schmiegen /
Bin ich voll Feur / und voll Liebespein /
Wovon mag doch der Liebsten Herze sein?
Wanns eisern wär / so würd es mir erliegen /

Wanns gülden wär / so könnt ichs biegen
Durch meine Glut; solls aber fleischern sein /
So schließ ich fort: Es ist ein fleischern Stein:
Doch kann mich nicht ein Stein / wie sie / betriegen."


Soweit die ersten beiden Strophen. Dieser Frage-Antwort-Modus ist recht typisch für die Autorin, wie sich allmählich heraus stellen wird, ebenso wie ihr Lamento über die Gebrechlichkeit, irdische Mangelbehaftetheit der Liebe, die gerade deswegen, weil sie nicht perfekt und kalt und gemacht ist, so ins Fleisch geht, so verwundet.
Ich blättere vor: Ein Kapitel wird dem Neid und dem Stand des Poeten in der schlechten Welt gewidmet, ein weiteres der "Fretowischen Fröhlichkeit".
Je mehr Verse ich lese, desto mehr formiert sich der Eindruck: sie sind klar, hellsichtig, charmant und gefühlvoll. ("Das Haus ist mir zu kleine // Tu nichts / als dass ich weine // Geh nicht mehr bei den Tisch; // Bei mir ist Trank und Essen / // Und alle Lust vergessen / // Mir schmeckt nicht Fleisch noch Fisch.")
Und dennoch muss ich ehrlich bekennen, den eigentlichen Reiz gewinnen diese Verse dadurch, dass sie von einer, nun kommt doch der Infoinput, jungen Dame, die während des 30-jährigen Kriegs lebte und früh mit 17 Jahren starb, geschrieben wurden. Sogleich gehen mir Bilder auf von Traditionen, Widerständen, von erster Liebe, Krieg, Pest und Glück, Panoramen die sich aus Assoziationen zu kurzer Lebensfrist und zarter Ahnung speisen, entwerfe ich Sittengemälde in dunklen Ölfarben: Krankheit und bleiche Haut, errötende Wangen, feine Gesellschaft und als Kontrast derbes Bauernvolk, Karren und Dreck. Letzteres, genauer: das Dorfleben wird bei der Autorin aber eher Sinnbild der Heiterkeit eines einfachen Lebens.

Wo genau Sibylla Schwarz sich literaturhistorisch und gesellschaftlich einordnen lässt, das bleibt aber auch nach der Lektüre, zumindest mir, nur erahnbar. Die beigebrachten Informationen sind eher dürr (vielleicht soll man im Sinne des Lektürezugangs dieses Rezensenten eben nicht deduktiv "verdorben" werden). Nicht zu Unrecht geht der Verleger davon aus, dass sich solche luziden Gedichte ohne Vorwissen vermitteln. Und doch sei gesagt: wie anders liest sich gleich vor einem barocken Hintergrund das "Christliche Sterbelied"!
"Hier / Herr Jesu / reck und streck! // Hier hier trenne / brenn und jage! // Hier reiß / schmeiß / kränk / senk und schreck!"
Vieles mag einem vertraut vorkommen und doch ist die Schlankheit des Ausdrucks, die Beherrschtheit der Form und Eleganz und Einfachheit dieser so jungen Dichterin bemerkenswert.

Folgendes Epigramm nur als ein Beispiel. Es könnte ohne Umstände auch jeder heutigen, von der Liebe verletzten Frau Ausdruck ihres Ungemachs sein:

"Du meinst ich soll noch dein gedenken und dich lieben /
Ob du mich schon verlässt / ey sei doch nicht so toll /
Ich habe dir ja oft vor diesem schon geschrieben:
Dass niemand Eisen / Stein und Klötze lieben soll."


Mit nur ein zwei Änderungen klingt es fast wie heutig gesprochen:

Du denkst, ich müsste an dich denken, dich noch lieben?
Obwohl du mich verlassen hast, du bist verrückt.
Ich hab dir oft gesagt, wir lassens besser bleiben:
Wer einen Holzklotz, einen Stein liebt, hat kein Glück.


Schön ist auch, dass der Greifswalder Michael Gratz zur Greifswälderin Schwarz ein Nachwort verfasst hat: lebendige Tradition. In 5 Jahren feiert sie ihren 400. Geburtstag, das erste Buch zu diesem Jubiläum ist erschienen, eine kleine Taschenausgabe zum Einstieg. Hoffen wir, dass noch mehr folgt.


Sibylla Schwarz: Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer? Leipzig (Reinecke & Voß) 2016. 60 Seiten. 9,00 Euro.

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