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Sergio Raimondi: Drei Gedichte

Montags=Text
Foto: Timo Berger

Sergio Raimondi

Drei Gedichte

übersetzt von Timo Berger




Das englische Wort und das Feuer

Das Häuschen des Schrankenwärters von Bahía Blanca Sur
hat zwei Stockwerke: unten Ziegel, oben Holz
und Blech. Unten, auf dem Rot, Gusseisen: »Betreten
der Gleise verboten«. Die Engländer
stellten ihre Sätze aus denselben Gründen
auf Fundamente wie ihre Gebäude:
Funktionalität und Bestimmung für die Ewigkeit,
nur zwingt ihnen hier der Ort seine Grenzen auf,
weniger durch bewusste Handlungen der Einwohner,
als durch die angespannte Trägheit der Landschaft.
Hoch schlugen gestern die Flammen über dem Häuschen,
und zu Asche wurde das Holz, das den Ozean überquert hatte,
und im Augenblick größter Hitze flogen die Blechplatten
über die Helme der Feuerwehrmänner.
Später fand man zwischen standhaften Mauern
Glassplitter und einen gegrillten Mann.
Gäbe es sie, so könnte man vermuten, dass der
schwere verführerische Rauch, der in schwarzen,
sich windenden Schwaden bis zu ihrer Tafel aufstieg,
die einheimischen Götter versöhnt hätte.


Der Klempner besucht den orphischen Dichter
und erteilt ihm eine Lektion

Auch wenn zwischen den Rohren des Gebäudes Sympathie
herrscht, will der Klempner, dem die Tür geöffnet
wird, weniger darüber erfahren, was die Norm ist,
als über Abweichungen und Fehler. Unberührt von
ätherischen Postulaten, schafft er es, dass das Wasser
wieder durch die instandgesetzten Leitungen fließt
und nicht von der Zimmerdecke aufs Bett tropft;
und während er darüber spricht, dass die Kausalität oder etwas
in der Art mit der Beharrlichkeit kleiner Handlungen zu tun hat
sowie mit dem fehlbaren Charakter der Menschen
und den von Menschen gefertigten Gegenständen,
kann er gleichzeitig überprüfen, ob das potenzielle Feuer
sich im selben Akt entfachen lässt: blaue Flammen
flackern auf dem Herd. Seine Vorstellung vom Kosmos
lässt eine Unregelmäßigkeit als Grundprinzip zu,
einen Zufall, von dem er wortwörtlich lebt. Er sammelt
seine Werkzeuge ein, sortiert sie ein wenig und geht.


Der poeta minor angesichts der Geburt seines Sohnes

Nachdem er tagelang seinen Bleistift suchte,
ihn im Fahrerhäuschen der Spielzeugfeuerwehr fand
und feststellte, dass das Urteil des Stammhalters unabhängig ist,
da er die geliebten und gelungenen Seiten zerreißt und
die mittelmäßigen verschont, entscheidet der unbedeutende Dichter
mit seiner Frau über ein Hauptproblem zu sprechen:
die räumliche und zeitliche Organisation seiner Arbeit
zu Hause, jetzt nach der Geburt des Sohnes.
Im Verlauf des Gesprächs werden mehrere Themen behandelt:
Einkauf von Lebensmitteln und Reinigungsartikeln,
Steuern und Abgaben, Zeiten für Betreuung,
Vergnügen, Fütterung und Hygiene des Kindes,
und den Mangel an Betreuung, Vergnügen, Fütterung und Hygiene
in der Beziehung, die Notwendigkeit, die ersten Schritte
festzuhalten, die Häufigkeit des Einsatzes dessen,
was für gewöhnlich Schnuller genannt wird, Wege,
die Großeltern freundlich auf Distanz zu halten.
Als beidseitiges Verstummen einsetzt, stellt
der unbedeutende Dichter fest, dass seine Unruhe
von größeren Sorgen verdrängt worden ist.
Wie ein inspirierter Romantiker,
der das Schweigen der Sterblichen nutzt,
um den Versen freien Lauf zu lassen, singt er
in dieser Nacht stundenlang ein Wiegenlied.


Zu den Originalen »


In Sergio Raimondi: Poesía civil / Zivilpoesie. Argentinisches Spanisch / deutsch. Übersetzt von Timo Berger. Leipzig (edition ultramar / Lateinamerikanische Literatur im Verlag Reinecke & Voß, herausgegeben von Peter Holland) 2017. 164 Seiten. 15,00 Euro.
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