Sean Bonney: Freude (Auszug 1)
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li.: Kritzolina
re.: neobieder II
Sean Bonney
Freude
(aus Happiness - Poems After Rimbaud)
übersetzt von Konstantin Ames
FREUDE (Auszug 1)
Ich bin in Teilzeit der (besorgte, aber nach außen ruhige) Bewohner des
nach Strich und Faden modernen Stadtraums. Jede Behausung ist eine Skizze des Gesamtkreislaufs
mit all seinen flackernden Schildern, seinem Rohwasser, anderen Zeugnissen des
Aberglaubens, der Ethik & Sprache.
Ein Unding, diesen grauen Himmel zu beschreiben oder die Millionenmenschen. Ihr
Leben könnte kurz oder lang weilen, niemand weiß das. Wir könnten aus ihnen eine Summe bilden,
sie aufteilen, multiplizieren allerlei Statistisches zu ihnen zusammenphantasieren, niemand wüsste
zu sagen, wo da der Unterschied wäre.
Es sei dem, wie es wolle, es ist auch schnuppe. Die Tiefe des Stadtraums. Der Ort
& das Rezept. Alles Idealismus! Da eine Reihe vernagelter Geschäfte. Eintönigkeiten &
Massen – Erziehungswesen – Kohlenstofftrichter.
Ich unterstelle die Anwesenheit von Gesetzen, aber es ist hier alles so betörend, da kann ich
mir überhaupt nicht denken, was ein Verbrechen sein soll. Ich maule auch garnicht. Alle meine
Geheimnisse habe ich schon längst geteilt. Ein Tod, der verdrießlich stimmt. Ein
schnuckeliges Verbrechen grummelt auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
2003, im September. da haben wir uns gefragt, weshalb die Dichter stillschwiegen
wir, nämlich: Kinderbücher, Whisky, Plattenläden
ausgebombte Obstgärten, Paracetamol, Vertriebene, Platinen
die Sonne, Feuergott
da hätten wir einen Satz Verben. sie huschen von hier nach da, als ob niemand sie gesehen hätte.
in fremden Häusern gehen sie ein und aus; Stellwerke; Grenzstädte.
der Lernverlauf ist doch so einsträngig
die Rechtmäßigkeit & Unverständlichkeit der Dichter
der Lärm hat sich in sie gegraben; wirkliche Sternbilder: Bettler, Wirtschaft, Detonation
2009, im Dezember; Jahresrückblick
Höllenqualen für die Hände, das Haar, fürs Maul, fürs Gesetz; ein zusammenklingendes Ganzes.
360 Grad; übernatürliches Trockensein auslaufender Nomen das Lager zur Nacht
Richtung mit Geschwindigkeit malgenommen; Ahnung von unwahrscheinlichem Einklang
mayday; das Alphabet war systematische Erpressung
abgehoben schlitterte es auf unseren regulierten sinnen
„Donner ungehörter Schwingen, Schwester, hab ich vernommen“
irgendein Scheiß über die Immanenz der Vokale usw.
(a) ’ne unverschämt gesunde Sozialmilch
(e) fasste Ficken als konformes Ausschwärmen auf; war
(i) was da unter Verschluss lag war. Geschnatter, Fliegen usw.
(o) ein durchgreifendes Strukturreformregime &
(u) tja, Zielscheiben, Neutralbleiben; ein geschlossener Kreislauf abstrakter Zahlen
& uns Weggesperrte. das Alphabet was schlussendlich nicht das unsere
auf keinen Fall, seine mythischen Schalen, seine ausgewrungenen Oktaven &
Spektren, Nullkommanichts / das Gespräch ein Rangfolge der
Eklipse (wie in einem Universum, endlos unter Druck)
unsern Wünschen fehlen Dichte & soziale Glut
„unsere Ruhe ist mächtig“
„die heute von dir erdrosselten Stimmen“
2012, früh im Jahr; das neueste vom Tag ist
Politblitze überlagern sich mit unsern Dächern
mager ist (unser Zynismus) das letzte eindeutige Wort
manchmal, wenn eine gewisse Entstellung der Vokale gewollt ist
lauschen wir dem Himmel; etwas Wandähnliches
ganz und gar aus unseren klaren, wohlklingenden Namen gemacht
die Moralität unseres Strebens, das Singen aufm Schafott
& der Schlägertrupp haben Jeglichem
unsere Rechte und Geschmäcker verweigert, das ist Harmonie
jedes nur denkbare Zusammenstellen von Leuten und Geistern
unsere Nüchternheit und Opfer, das ist unser Alphabet
manchmal, unsere fromme Grausamkeit haben wir über
wir springen quietschend in die Hölle
unser Wohlstand – gewaltig, unumstößlich