Saskia Warzecha: Approximanten
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Jan Kuhlbrodt
Saskia Warzecha: Approximanten. Berlin (Matthes & Seitz)
2020. 64 Seiten. 16,00 Euro.
Zu Saskia Warzechas Debüt Approximanten
ich halte den empfindsamkeitsrausch so laut, dass es schmerzt aus meinem körper raus. in empfänglichsten fehlern fehlt den formen kein titel. komponierter, guter wunsch. strukturspur. ...
So beginnt ein Text gegen Ende des Bandes. Und er endet mit
den beiden Worten: herausgezögertes befürworten. Und diese Wortkombination
trifft, was mein Leseverhalten in diesem Band betrifft, den Nagel auf den Kopf.
Manchmal dauert es eben etwas länger, bis ein Text sich öffnet, oder bis eine
Art und Weise zu schreiben mir einen Zugang erlaubt. Da ist aber etwas, was
mich am Lesen hält, auch wenn die Sprache an mir vorbei rauscht wie ekstatisches
Zungenreden.
Paulus schreibt im ersten Korintherbrief:
In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; … in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.
Und es scheint mir kein Wunder, dass ich angesichts der
Terminologie einen kurzen Umweg über die Religion nehmen muss. Denn was sich
offenbart, will verstanden werden. Und Sprache, so scheint es mir zumindest,
ist manchmal zunächst ein Moment Offenbarung, ein Klangereignis, das in meinem
Kopf stattfindet. Ich lese, um zu hören.
Saskia Warzechas Gedichtband, ihr Debüt, das in diesem Jahr
bei Matthes & Seitz erschienen ist, stellte mich in dieser Hinsicht, also
des Verstehens eines zunächst klanglichen Ereignisses, vor nicht geringe
Schwierigkeiten. Ich weiß nicht genau, wie oft ich angefangen habe, in diesem
Buch zu lesen, nur um nach einer Weile wieder abzubrechen, aber es ließ mich
nicht los. Das schmale Bändchen mit dem taubenblauen Schutzumschlag lag wie
eine Provokation auf dem Tisch, und ich kam nicht umhin, es immer wieder
aufzuschlagen.
Ich gebe zu, dass ich das Wort Approximant
nachschlagen musste. Das habe ich sofort getan, es hat mich aber nur bedingt
weitergebracht, außer dass ich auf eine Zeichnung stieß, die in meiner de
Saussure-Ausgabe der Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft auch auf
den ersten Seiten abgebildet ist. Hier
die Wikipediadefinition für Approximant:
Ein Approximant (lateinisch approximare ‚sich nähern‘; deutsch auch Annäherungslaut) ist ein sprachlicher Laut, normalerweise ein Konsonant, bei dem die ausgeatmete Luft relativ gleichmäßig und ungehindert durch den Mundraum strömen kann. Approximanten stehen damit im Gegensatz zu anderen Konsonanten wie Frikativen, bei denen während der Artikulation eine Engstelle z. B. im Mundraum gebildet wird, die die ausströmende Luft verwirbelt und so einen Reibelaut erzeugt.
Das war also geklärt, brachte mich bei der Lektüre aber
nicht wesentlich weiter. Noch immer zogen die Texte an mir vorbei wie biblische
Zungenrede. Was sich darin aber vom Anfang zeigte (offenbarte?) war ein Humor,
der dem ganzen zugrunde liegen musste. Ein Humor, der sich nicht aus dem außersprachlich
Grotesken speiste, sondern der vielmehr in der Sprache selbst lag. Ein
struktureller Humor. Man muss ihn entdecken. Und in dieser Hinsicht sind wir ja
von Stolterfohts Fachsprachenreihe einiges gewohnt. Nur dass sich hier der
Bezug aus einer Wissenschaft speist, deren Gegenstand die Sprache selbst ist.
Das klassische Moment also des Hundes, der versucht, seinen Schwanz zu
erwischen.
Der zweite Zyklus des Bandes verlässt allerdings das
linguistische Feld hin zu einem technischen. Und wenn man Technik als
vergegenständlichtes menschliches Vermögen betrachtet, hat das auch wieder
seine sprachwissenschaftliche Wirklichkeit. Es ist also weniger ein Verlassen
als vielmehr das Ausweiten des Feldes.
spuren von syntaktischem zucker, mechanisch fein kandierte lippen. da liegt ein dreißig jahre altes organ in meinem mund …
Ich gebe zu, dass ich um das Buch ein wenig kämpfen musste,
aber letztlich hat es sich doch gelohnt. Und jetzt muss ich an eine Arbeit des
Künstlers Olaf Nicolai denken, eines meiner liebsten Kunstwerke. Es heißt La
Lotta und ist ein schwarzes Einhorn, das im Ausstellungsraum lagert. Es mag
ausgestopft sein, aber seine Körpertemperatur beträgt annähernd vierzig Grad.