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Sabine Scho: muränentränen

Gedichte > Gedichte der Woche

                                                                                                                                                                                       
muränentränen

bring’ eine muräne zum weinen
erzähle ihr von substanziellen strapazen
den deinen, oder auch denen anderer vertebraten

polymerstränge, die aneinandergeraten
verschieben, verkleben, makromolekular verschweißen

nanomaschinen beraten sich in wesensstruktur
unabhängig von ihren proteinen helfen sie ihnen beim
verschwinden oder vertäuen von längern aminosäure-
ketten

frag’ mich, ich antworte 1000 mal! an anorganischen
substanzen, möchte ich wetten, herrscht kein mangel

moment, ich schau mal eben auf die uhr
das sei alles gegen die natur: sich bis in die kleinsten
strukturen verbeißen. dipeptides molekülülgerangel
induziert wechselseitige änderung in konformationen

bitte wiederholen!

feierliche segenshandlung, also genaugenommen
der ganze kirchliche teil, ist ausgeblieben, transsub-, transsib-
transsubstantiation: verwandle tränen zügig zu wein oder knast-
kristallene tattoos und lass die finger von den nichtveganen
oblaten

ach, das kennt doch eh kein schwein, lass mich raten
wichtig ist dabei die reihenfolge der eiweißbausteine
und die räumliche anordnung, wie die bouquinisten
an der seine, äh, säen

lass mal sehen, muränentränen zählen zum weltkulturerbe
der unesco, immunglobuline und keimtötende lysozyme, kohlenhydrate
und deren metaboliten, stickstoffhaltige und die bereits erwähnten
anorganischen subschlampen markieren meist den übertritt von freude
zur trauer

ich tanke tränen, muränentränen, man, die hat hauer
zack, mit dem u-boot mal eben an der riffhöhle halten
und in acht von zehn fällen kommt dann ein verstrahlter neuflosser raus
dann drück ich auf dessen tränendrüse und schon flocken da so
ölhaltige substanzen aus

krass teures und nicht ganz ungefährliches hobby

wegen der muränen ihr gift und denen ihren zähnen
sieht ja oft so aus, als wenn sie gähnen, aber das ist
schon drohgebärde, ich drück da ja auch nicht chiral,
also mit den eigenen händen, drauf, ich hab da so einen
spazierstock mit knauf dafür, den halt ich so etwas schräg
aus der tür, mit so futterfisch am ende aufgespießt

dann kommt so ein hungriger knochenfisch aus seinem
unterschlupf geschießt und in der anderen hand halt ich
so eine greifzange, dauert nicht lange die prozedur
kommt meist auch niemand zu schaden, wird nicht geschossen

und dann ab nach paris, das träumt in gänze von der liebe
und dem drin verliebt sein in die liebe, da kommen dann später
wieder die tränen ins spiel und auch ein bisschen mode als bikini
spielte eine rolle, sie können jetzt wieder ins bad


(Sabine Scho: rottenkinckschow - substanz 2014)

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