Ruth Lasters: Lichtmesser
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Timo Brandt
Die Versknöchel knacken lassen
„Weiße Waschlappen mit denen du deinen alten Vater wäschstverhärten nachts zu Umschlägen füreinander nicht geschriebene Briefe (irgendwann gibt es eine Maschine, Papadie sie mit Elektroden auf der Kopfhaut registriert und ausdrucktdie Episteln, die du nur in Gedanken aufgeschrieben hast, nie zu Papier brachtest. Sie liegendann nach deinem letzten Atemzug einfach da, in einem Stapel von genau deinerKörpergröße).“
Was Gedichte nicht alles sein können! Lieder und
Erkundungen, Gedankenbecken und Gefühlskleister, Analysen und Diagnosen, Fragen
und Vorstellungen, and so on. Auf der Rückseite des Bandes „Lichtmesser“
bezeichnet der Übersetzer und Herausgeber Stefan Wieczorek nun die Gedichte von
Ruth Lasters als „Versuchsanordnungen oder Spielanweisungen“.
Damit gibt er natürlich schon ein wenig eine Richtung für
die Lektüre vor. Muss man also mit diesen Gedichten auf besondere Weise
„interagieren“? Aber muss man nicht mit jedem Gedicht interagieren? Auf gewisse
Weise vielleicht, aber man muss nicht unbedingt mitspielen, muss den
Anordnungen nicht Folge leisten, muss sich nicht mit hineinziehen und zum
Komplizen machen lassen – wobei gerade das ja die guten Gedichte immer wieder
bewerkstelligen: uns in jeglicher Hinsicht nicht nur zu überraschen und zu
bespielen, sondern uns auch aus der Reserve zu locken,
„schreien wir einander durch die Wändealle tausendsiebzig Dinge zu, die schief gehen können bei der Durchführungunserer Pläne, zum Beispiel der unwiderstehliche Drangeines Nachts loszustampfen, beide Möbelzu zerlegen zu einem Haufen Holz für einen neuen Schrank, groß genug,dass wir beide ganz einfach aneinander gelehntstehen können.“
Sind diese Gedichte Versuchsanordnungen, Spielplätze? Sie sind durchzogen von argumentativen Dynamiken, tragen mitunter essayistische Züge und auch Anordnungen, und Aufforderungen sind keine Seltenheit. Sie laden damit zu Gedankenspielen ein, lenken die Vorstellung, aber ob das genügt, um ihnen den Status eines Spiels oder eines Versuchs, also Experimentes, zu verleihen?
Es ist in jedem Fall faszinierend zu verfolgen, wie sie operieren; wie schnell in diesen Texten aus einer Ausgangssituation ein Verfahren wird, wie eine Idee fließend in einen Vollzug übergeht. Ja, diese Gedichte sind sogar faszinierend. Man durchläuft sie immer wieder, bzw. könnte man sagen: lässt sie immer wieder laufen, wie einen Video-Clip, in dem mit der eigenen Wahrnehmung gespielt wird oder ein Phänomen verdeutlicht wird.
„Ich hinterlasse dir meine Finger in diesen Knoteneinfache, halbe Schläge im Seil. Eine Fertigkeitaus der Zeit bevor man Feuer machte, lange bevor aufgedröselteZufälligkeiten, die sich Sprache nennen, unser Hirneroberten wie ein Haufen Küstensand,in dem eine permanente Möwe schreit, anstattdarüber.“
Natürlich will ich die „Spiel“-Interpretation des
Übersetzers nicht einfach verwerfen oder übergehen. Aber ich glaube, dass meine
Leseerfahrung mit der Clip-Vorstellung besser wiedergegeben wird. Denn diese
Gedichte arbeiten auch, wie man an den Beispielen hoffentlich sieht, auf
besondere Weise mit visuellen Komponenten, lassen Bilder ineinander übergehen
oder geschickt auseinander entstehen, laden sie in kürzester Zeit, mit einer
gezielten Wendung, auf.
Diese Unberechenbarkeit ist aber in meinen Augen kein bloßes
Spiel mit Erwartungen und Brüchen. Es ist fast so (und hier kann ich vielleicht
doch anknüpfen an die Einschätzung von Wieczorek), als wollte die Autorin mit
diesen Manövern eine Art Hyperraum, eine Abkürzung, eine neue
Strecke/Formulierung für ein Gefühl, eine Idee finden oder durch das Dickicht
der Sprache schlagen. Man könnte also doch von „Versuchsanordnungen“ sprechen
oder auch von einer Spielanweisung im erweiterten Sinn.
„Vielleicht ist Fußball tatsächlich das einzige Zielauch des Unterbewussten und des Bewussten: zweigeteiltnur deshalb, weil ein Match zwei Mannschaftenerfordert.“
Bei all diesen Vorzügen und faszinierenden Elementen sind
die Gedichte an manchen Stellen dennoch (zumindest mir) etwas zu verstiegen,
gefallen sich in ihrer angeknacksten Art, steigern sich manchmal zu schnell in diese
hinein. Es ist beeindruckend, wie Bilder unterlaufen werden, aber auch etwas
frustrierend, wenn ein gutes Bild einfach überlaufen, zurückgelassen, abgehängt
wird. Bei manchen Gedichten wusste ich außerdem nicht, ob da ein sarkastischer bzw.
ironischer Grundton vorherrscht, oder ob ich mir das nur einbilde. Schade ist,
dass es kein umfangreicheres Vor- oder Nachwort gibt, in dem etwas mehr zu
Lasters Poetik gesagt wird.
„Lichtmesser“ und die Autorin waren für mich eine tolle
Entdeckung, ich werde mich mit dem einen oder anderen Text sicher noch
ausführlicher beschäftigen (dieses Fußballgedicht macht mir echt zu schaffen
…). Es ist bemerkenswert, wie Ruth Lasters Welten erzeugt, wie sie dialektische
Prozesse anwirft und Überlegungen konzentriert. Ach ja: die Gedichte sind
außerdem teilweise wirklich spaßig und schön.
„Ich kann dich auch mit mir herumschleppen, auf einer großen Papierrolle– umständlich wie die Sehnsucht selbst – und im Kleinen den anderenjene Abweichung zeigen, die bei der Abweichung von der Kugel zurFläche entstehen und auf die leicht fehlerhaft wiedergegebene Iris starrenddich dann vergessen“„Irgendwo trägt ein Elch dein Geweih,verzweigt, geschwungen wie der vergebliche Versuch die Zeitumzukehren“
Ruth Lasters: Lichtmesser. Gedichte. Übersetzt von Stefan
Wieczorek. Köln (parasitenpresse) 2018. 52 Seiten. 10,00 Euro.