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Ruiniert euch! Literatur. Theater. Engagement

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Monika Vasik

Ruiniert Euch! Literatur. Theater. Engagement. Hrsg. Christiane Lembert-Dobler, Manfred Rothenberger, Anne Schuester, Sebastian Seidel, Stephanie Waldow. Fürth (starfruit publications) 2021. 384 Seiten. 2,00 Euro.

Was erwarten wir von der Kunst der Gegenwart?


Wir? Da müsste man sofort nachhaken. Wer ist dieses „wir“ und für wen spricht es – womit bereits ein aktuelles Thema der Gegenwart und der vorliegenden Anthologie angesprochen ist, nämlich die Frage nach Repräsentanz in Kultur und Politik und

„wie wer wen (re)präsentiert; wie entscheidungen von wem getroffen werden; wem zugang ermöglicht wird und wer diesen nicht nutzen kann und warum; was hochkultur und was subkultur ist und welche form anrecht hat auf welche ressourcen; wer überhaupt entscheidet, was kultur und kunst ist ...“ (Miriam Ibrahim in „no pain no gain”)

Auch Milo Rau, dessen Projekte „stets eine politische und eine künstlerische Seite“ haben, sich um Nachhaltigkeit bemühen und oft „in langjährigen neuen, länderübergreifenden Solidaritäten“ entwickelt werden, greift in einem Interview mit Dorothea Marcus diese Fragen auf, nämlich

„wer wird wie repräsentiert, wer spricht, wer verkörpert was?“

Ebenso Florian Malzacher, der sich in seinem Text über die argentinische Künstlerin Lola Arias mit Konzepten und Konstruktionen von Identität(en) beschäftigt. Oder Markus Ostermair, der in „Versuch über das Unbehagen“ einen Abriss „über Herkunft und Repräsentation“ anhand der eigenen Biografie gibt und über Sprachfindung trotz aller Umstände und den notwendigen Mut für das eigene Sprechen nachdenkt.

Auch andere aktuelle gesellschaftliche Themen brennen. Doch welche Position(en) nehmen Kunst- und Kulturschaffende heute überhaupt ein? Wie gehen sie mit dem Möglichkeitsraum Kunst um? Soll, ja muss Kunst politisch sein und ist sie es nur dann, wenn sie sich den drängenden Fragen unserer Zeit widmet? Und wie zeigen Literatur- und Theaterschaffende politische Haltun-gen in ihren Werken und bringen sich in den gesellschaftlichen Diskurs ein?

„Ausgeführt sprechen ist
gesellschaftlich positioniert sprechen.“

sagt Elke Erb in ihrem Gedicht „Sich äußern“. Ronya Othmann wiederum greift mit ihrem Beitrag „Den Stein den Berg hinauf rollen“ den Sisyphos-Mythos auf. Sie weist beispielhaft darauf hin, dass „die Frage nach dem Engagement und der Literatur“ nicht neu sei, erinnert an engagierte Literatur früherer Jahrzehnte und hinterfragt die Forderung nach Engagement, denn „Literatur ... muss nichts, außer sich selbst treu zu bleiben“. Aber:

„Die Politik ist in meinen Texten, weil sie auch in meinem Leben ist ... Das Schreiben kommt, weil die Gegenwart nicht zu ertragen ist. Das Schreiben macht es nicht besser.“

Doch wie werden Ästhetik und Engagement im 21. Jahrhundert verbunden? Wie verändert sich das künstlerische Sprechen durch Digitalisierung und Medialisierung? Wie steht es um die gesellschaftliche Relevanz von Literatur und Theater heute? Und nicht zuletzt: Wie gibt man Antworten auf Fragen, die heute noch gar nicht gestellt werden? Also noch einmal:

„Was darfkannmagmusssollwill Kunst?“ (Lena Gorelik in „Entschieden“)

Dies alles sind Themen, die in der seit 2018 stattfindenden Augsburger Gesprächsreihe „Literatur und Engagement“ diskutiert werden. Sie basiert auf einer Initiative des Studiengangs Ethik der Universität und des Sensemble Theaters in Kooperation mit dem Friedensbüro der Stadt Augsburg. Nicht die ganze Bandbreite der Kunst steht hier im Fokus, sondern die Wortkunst. Künstler*innen der Sparten Literatur, Theater und Film positionieren sich und diskutieren mit Student*innen sowohl in kleinem Rahmen als auch in der Öffentlichkeit. Als Ergebnis dieser Gespräche liegt nun eine Anthologie mit dem provokanten Titel „Ruiniert Euch!“ vor. Verantwortlich zeichnet ein Herausgeber*innenkollektiv, das neben den Positionen von Teilnehmer*innen der Augsburger Gespräche auch weitere Gegenwartsstimmen vereint. Es ist eine Sammlung von 38 sehr unterschiedlichen Beiträgen, die Essays, Interviews, einen Briefwechsel, sowie Gedichte und Fotos einer Performance enthält. Die Annäherung an die aufgeworfenen Fragen ist persönlich, das Ergebnis vielstimmig und zum Teil kontrovers, mal pamphletartig, mal den Gehalt von Positionen sorgsam abwägend, gelegentlich schrill, vereinzelt etwas schlicht in der Argumentation.
       Stephanie Waldow, eine der Herausgeber*innen, merkte in ihrem gemeinsam mit Sebastian Seidel verfassten einleitenden Text zur Frage des politischen Gehalts zudem an:

„Mich hat bei unseren Gesprächen zunächst erstaunt, dass so viele vehement einem politischen Horizont ihrer Werke widersprochen haben, obwohl mir dieser offensichtlich erschien, und wir diese Künstler*innen nicht zuletzt auch deswegen eingeladen hatten.“

Was wiederum Raum für Interpretation öffnet. Der Anspruch der Gesprächinitiative und damit des Buchs war unter anderem, nach verschiedenen ästhetischen Strategien und Praktiken zu fragen und damit den künstlerischen Prozess an sich, den Akt des künstlerischen Ausdrucks transparenter zu machen. Nicht zuletzt geht es um die Möglichkeit, von der eigenen Kunst leben zu können. Unter dem Label „Rimini-Protokoll“ übersetzen die Theatermacher*innen Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel die gegenwärtige Realität in den Theaterraum. Dass ihnen dies jenseits reiner Selbstausbeutung seit mehr als 20 Jahren möglich ist, ohne dabei stets die Wirtschaftlichkeit ihrer Projekte im Auge haben zu müssen, verdanke sich der Tatsache, dass die Politik kulturelles Arbeiten als „weiche Standortfaktoren“ definiert und daher fördert, mehr noch:

„Uns gibt es nur dank einer recht breit angelegten Förderung der »Kulturlandschaft« ... Wirtschaftlichkeit würde im Prinzip alles, was wir entwickeln, und wie wir das tun, zunichte machen – unsere Arbeit ist kommerziell nicht attraktiv.“

Auch hier ließe sich über Art, Zweck und Ziel von Förderungen sowie deren Verteilung und den Wunsch vieler Künstler*innen nach einem breiteren Zugang zu öffentlichen Ressourcen vermut-lich heftig debattieren. So liegt mit „Ruiniert euch!“ ein heterogener, lesenswerter Materialband vor, der zum Denken anregt, Diskursräume öffnet und erweitert.


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