Rudolf Borchardt: Bacchische Epiphanie
Gedichte > Klassiker
0
Rudolf Borchardt
Bacchische Epiphanie
Ενάζ? ξένος μέλεα βαρβάρος
Eur. Bacch.
Eur. Bacch.
Zwischen Greif und
Sphinge schreitend
Kam der Rosen-Übergoßne
Unerforschtem Tal Entsproßne
Mit dem goldnen Horn.
Neben seinen Füßen gleitend
Schlichen Panther, und es scheuchten
Nackte mit erhobnen Leuchten
Sie von seinem Pfad -
Unerforschtem Tal Entsproßne
Mit dem goldnen Horn.
Neben seinen Füßen gleitend
Schlichen Panther, und es scheuchten
Nackte mit erhobnen Leuchten
Sie von seinem Pfad -
Wind des Abends, Wind der Frühe
Inselher vom Meere fliegend
War dem Wink des stillen Gastes
Duftender bereit:
Aus dem Horn der braunen Hände,
Süßer als die Milch der Kühe,
Floß der Strom und nie zu Ende
Seinen Weg entlang,
Hain, darin die roten Hirsche,
Ernsten Löwen in die Fährte
Laufen, wo ein Aufgebäumtes
Züngelt durch das Grün -
Aus dem Haus der wilden Kirsche
Fordert er die Blutversehrte,
An den Trunk die Fremdgesinnte
Heilig Wohnende. -
An das Blut das ausgefloßne,
In die taube Luft verschloßne,
Fürchterlich gewordne Leben,
An den Trunk den Durst!
Wie sie im Entrückten horsten,
Vogel schrein und Fittich schweben,
Wie sie rennen in den Forsten
Hinter einem Raub,
Wie sie lauren, wie sie kauren,
Wie sie stutzen, käun und liegen, -
Herrn der Öde, Herrn der Rode,
Ziehn sich an den Duft:
In den Duft wie wilde Fliegen
Fahrend hinter einem Tode,
Reisen witternd die Kentauren
Durch den heißen Wald.
Aber die Verhüllte lehnte
Immer bei der Quelle wallend;
Bach hinab durchs Laue dehnte
Eine sich und sah -
Aus des Laubes tiefsten Nestern
Zu den Felsen widerschallend
Hallend schickten sich die Schwestern
Einen großen Schrei,
Und sie kamen. Aus den nackten
Pässen, aus der weißen Hölle
Der Gebirge, aus den Gluten
Des entbrannten Tags,
Durch die springenden Gerölle
Warfen Nackte sich wie Stuten
Fiebernd mit empörten Flanken
Hang um Hang zu Tal, -
Wem zu nahen? Was zu werben!
Welches Graun des Ungemeinsten
Zu ergreifen sind die Reinsten,
Die Heroen da!
Oder welches Graun zu geben,
Denen alle Zehnten sterben,
Daß sie fern dem heilen Leben
Sitzende, versühnt
Blut und Singen und das Zittern,
Salz und Samen des Lebendigen
Zögen in den hunderthändigen
Immer hohlen Neid?
Denn es ward den Heiligen Zwittern
Zwischen Gott- und Menschen-Ehren
Dies Entbehren, dies Erbittern
Am erzwungenen Tisch,
Und von ihnen kehrt das Leben
Königlich im Gold der Veste
Wuchernd in den weißen Höfen,
Fiebernd, singend, seine bangren
Jüngren Augen ab, -
Saal an Sälen, Gau an Gauen
Schwillt vom dumpfen Lied der Schwangren,
Reiner Wind von Süd und Weste
Trägt das Lachen schwerer Frauen
Aus den Kammern fort,
In den Lärm von Zug und Jagden
Schlag von Stühlen, wo sie weben,
Lärm beim Mahl, und Blut und Fettes
Haben sie vollauf -:
Ihnen steht zu Brust an Brüsten
Ewig stark des süßen Bettes
Wonne weit getan, es rüsten
Tag und Nacht die Kraft
Wie der Lampe, und die Viere
Schwester Zeiten ihres Jahres
Treiben Himmel auf die Stiere
Wie durch dunkles Feld. -
Brache, Saat und Blust und Ernten
Sehn sie braun und greisen Haares, -
Nie den mörderisch Entfernten,
Erst im Sprung den Gott!
Ah! So gehe zur Olive
Ein Erhabner sich zu kränzen!
Gießend zwischen Neid und Neide
Stehe einer auf!
Eide sinds, und nicht gehalten!
Einer holt die neuen Eide!
Die Geschlechter, die Gewalten,
Einer bindet sie!
Neue Eide müssen kommen,
Daß die Flur der Tausend Trachten
Nicht ermüde, noch der Frachten
Die beladne See!
Aber wo, und wie, und wannen
Gehn mit Kühen, stehn mit Kannen ?
Wie verkündet, wie vernommen
Heiligen den Bund?
Kann es aus den Tiefen kommen?
Zwischen Korn und Nattern keimen?
Zwischen Tod und Brot gefüttert
Wachsen in das Licht?
Oder zwischen nackten Schleimen
Kam es fahrend? sanft erschüttert?
Über einem Schiff geschwommen,
Von den Eilanden?
Zwischen Tod und Leben reisend
Lacht der Rosen-Übergoßne, -
Gegen die Geleite kreisend
Wirft er sich herum,
Wirft, und reißt zu neuem Werke,
Die Verschlungnen in sein Kommen,
Chöre der begrabnen Stärke
Vorwärts in den Weg, -
Und er hat in starke Schließen
Seiner Arme, link und rechten,
Welche Beute eingefangen!
Nacken, welches Haar!
Und er gibt den großen Wangen
Niederab das veilchene Gießen
Seiner Barte, seiner Flechten,
Und er gibt den Mund
Schwarzes atmend in das schwerste,
Tödlich aufgetane Schlürfen -
Ein Wie-wieder-Schlafen-dürfen
Wild gemischtes Gift -
Zückender, als in des Buhlen
Klammern Mund auf Mund vernichtet
Sich entStürzen, und das Erste
Aufgeopfert sein
Wie ein tiefstes Sich Erinnern
An das Tobende von Flöten,
Wut von Pauken, Rausch von Fluten,
In sich finden bei dem tiefsten
Erbe allen Bluts -
Sucht bei menschgebornen Süchten,
Sterngleich bürdelos zu funkeln,
Reißend mit dem Tier zu töten - -
Flüchten aus der Angst des Fleisches
Um sein Rings und Stets.
Denn sie langt, in seinen Griffen
Abwärts taumelnd, mit betäubten
Armen langsam, wie nach Kronen
In die Dämmrung auf -
Greift, und greift Hinaufgehäuftes:
Zwischen Fingern ihr von Häupten
Geist in ihre Schauder träuft es -
Blut und Mund in eins -
- Blut, o Du nicht! Du nicht Diesen!
Leib nicht, wie sie dich umheulen!
Dies Besiegeltsein mit Gliedern
Nicht ein zweites Mal!
Alles Blut, es lehnt mit Liedern
Aus den Bängnissen, - mit Riesen -
Armen seines Säul an Säulen
Aufgewölkten Rauchs
Groß gestützt bei seinen Malern,
Von den Tausend Lehen steigend,
Volk an Volk in allen Tälern
Gassen auf gestaut,
Hin und her erkannt mit Rufen,
Ruhlos fieberhafter schweigend,
Fallend Stufen über Stufen
Tiefer in die Welt,
Daß es allen Eid begrabend,
Eide unerhört erneure,
Schwillt das Leben in die Stunde,
Da es sich verwirft -
Sinnlos links und rechts die Runde
Blickend, sitzt das ungeheure
Aufgebaut in seinem Abend,
Und begreift die Last
Der Bereitschaft in den Adern
Nicht so dumpf, wie das zerrissen
Badende des ungewissen
Erstgebornen Sterns -
Königs Gold und alle Gemmen
Auf der Herrschaft seiner Hände,
Dies zu schwer mit zu viel Kämmen
Dies, mit Fett und Ruch
Aus Lebendigem, und der Tugend
Heiliger Bäume aufgebundene,
Mit Vergötterung großer Nächte
Vollgeküßte Haar,
Alles lähmender gebundene
Vorwärts wachsen in die Mächte,
Vorwärts lagern seiner Jugend
In ein Ewiges
Nicht so starrend, wie die Schluchten,
Finster blühend mit gefeiten
Wildnissen, wo alle Leiten
Münden in Verdacht -
Nacht ist auf, die kein genaues
Weiß, noch ihrer Ewigkeiten
Sättigung, noch vielen Taues
Die Genüge will,
Noch ein Maß im Über-Reichen,
Noch ein Festeres im Weichen,
Noch im Wüsten ihres Stammelns
Eine letzte Scham:
»Schamlos schrei ich meine Klage, -
Ja, mich schaudert meines Lebens!
Untergang, nimm meine Tage,
Dunkel, meinen Schoß!
Schoß gib deine Nacht, und, Ader
Deinen Abgrund, - Ungeheuer,
Laß dich fassen, schwelge, Feuer
Mich aus mir hinweg -
Wasserfall und Winde, mannt mich,
Lust verschleudre mich, ach Hader
Ende du mich, Bühle, bannt mich,
Berge fallt auf mich!
Fort, Gesichter, die ich ehrte!
Her, in ein Gemächt verkehrte
Sehnsuchtsschauder meiner Ängste, -
Ach, daß über mir wie Hengste
Raste euer Riß!
Hört ihrs, was ich will! Und wollts jetzt
Nehmen oder nicht? Mir geben
Oder noch nicht? Ah, so sollts jetzt
Anders hören noch, mich Leben,
Götter, zu euch schrein!
Messer her, und her mit Knütteln,
Brecht sie euch aus Wäldern, Keulen, -
Wach zu heulen, weh zu rütteln,
Zu ermorden, kommt!
Nimm, ins Kraut geduckter Panther,
Abscheu, diesen Schrei Entmannter,
Schrei Zerstampfter, Überrannter,
Totgebuhlter, nimms -
Tod oh komm, du einzig Reiner,
Leib vergeh, mich ekelt deiner,
Sattheit, - wenn du irgend wannen
Zwischen Stern und Kluft
Nie Ersättigten ein Essen
Aufbewahrst, komms in mich pressen.
Gänzlich, dran wir uns vergessen
Zwischen Kuß und Gruft!«
Zwischen Tod und Leben brausend
Meisternd das in Eins Geschlossne
Tanzt der Rosen Übergoßne
Ins Geschick der Welt -
Haut den Zauber aus der Traube
Stampft sich Wildernis zur Laube
Strahlt aus jedem Einen Tausend, -
Einverleibt, erschlägt,
Leiht dem Tode unabwendigen
Schoß und Küsse des Lebendigen,
Klammert in des Todessüchtigen
Armepaar den Rausch,
Täuscht die Hälften in das Ganze,
Schmilzt das Derbe mit dem Flüchtigen,
Geist und Tier und Fels und Pflanze
Kreisen ins Gestirn.
Hinter ihm das Fürchterliche
Schmeichle sich die Furcht ins wilde
Tänzer Brautbett, dem Gefilde
Schwarz aus Monde lacht,
Vor ihm raffe sich Entseeltes
Leidenschaft in den verschmolzenen
Kuß gepaarter Jagd, Gequältes
Wisse nichts von Qual, -
Und dem Einsamen Versühner,
Wirbelnd um den Stab der Zauber,
Drum der Sternendämmer grüner
Nächtiger Tage gleißt,
Ihm begegne zwischen Heeren
Beiderseits sein Spiegelbruder:
Angetan mit seinen Ehren,
Schauerlich ihm gleich,
Festlich lallend, grausig eitel,
Einen Reigen um sich reizend,
Reben von den Fingern spreizend,
Kranz um die vermummten Scheitel, -
Hefen ums Gesicht
Malend mit dem bunten Ballen,
Zu erschüttern, zu gefallen,
Und sein Selbst nicht mehr zu achten,
Abgesprungen, in die Trachten
Zwischen Ich und Nicht.
Priester hier und Heiland jener,
Heilige beide in der Paarung,
Tanzen sie die Offenbarung,
Wirbeln sie in eins -
Um sie hunderttausendfaltig,
Alle Paarungen unkenntlich,
Göttermenschlich, menschgestaltig,
Schwillt die Kreatur, -
Bis die Seele, die sich leidet,
Bis das Leid, das seelenlose,
Nicht die Leidenschaft der Rose,
Nicht die Nachtigall beneidet
Schütternd im Gebüsch:
Klingend ist ein Licht erglommen
Über Frieden aller Tiefen:
Wald und dunkle Wiese triefen
Über Schlummern seiner Frommen
Schluchzen ihres Traums.