Róža Domašcyna: Feldlinien
Christoph Georg Rohrbach
treib/sand und dünen die wandern
zu Róža Domašcynas „Feldlinien“
Nach André Schinkels „Parlando“ ist „Feldlinien“ der zweite Band aus der Edition Ornament, der mich allein durch die Holzschnitte Karl-Georg Hirschs und das robuste Papier einlud, ihn in die Hand zu nehmen. Die dreiundsiebzig darin enthaltenen Gedichte der sorbisch-deutschen Autorin Róža Domašcyna verleiten wiederum dazu, ihn auch zu lesen.
Würden Untertitel und Register nicht verraten, dass die Texte über fünfundzwanzig Jahre hinweg entstanden sind, so erhielte man umgehend den Eindruck, einen geschlossen geformten Band zu lesen; einen Band, der sich in Sprache und Duktus treu ist, obschon die Autorin auch mit freien Rhythmen, Sonetten und kleinen Sprachspielen elegant umgeht. Kein Gedicht hebt sich von den anderen ab oder fällt heraus. Das Spiel mit der Sprache speist sich dabei oftmals aus dem Sorbischen. Gerade deshalb sucht der Leser, von Buchbeschreibung und Nachwort dazu angehalten, einen Angelpunkt, um sich im Werk Domašcynas orientieren zu können. Nichts scheint in diesem Band so sehr durch seine Fremdheit zu faszinieren wie die Einsprengsel und Verweise auf die innerdeutsche slawische Sprache und Kultur. Auch werden geschilderte Kindheits- und Familieneindrücke unentwegt damit assoziiert. So im Gedicht „Cyklen“:
meine urgroßmutter, die bei weitem keine uroma war,
sondern eine prawowka, sprach nur wendisch, wie sie es
mir auf sorbisch erklärten
meine großmutter, die bei weitem keine oma und auch keine
uroma war, sondern eine wowka und prawowka, sprach
nicht nur wendisch, wie sie es mir auf wendisch erklärte
meine mutter, die eine wowka und prawowka ist, dazu eine
oma und uroma, was keiner zu ihr sagt, spricht sorbisch,
wie sie es mir auf wendisch und deutsch erklärt
ich, die ich eine oma bin und selten wowka, spreche
wendisch-sorbisch, was ich hier auf deutsch erkläre
meine tochter, die längst noch keine oma ist und niemals
wowka sein will, spricht nur deutsch, was sie gern erklärt
meine enkelin, die eine wnutschka ist, spricht zu hause nur
deutsch, wie sie es mir auf sorbisch erklärt, was ja eigentlich
wendisch ist
Nun kann man aber die Familiengeschichte nicht allein als „Cyklus“ (Rad) verstehen, als ständige Wiederholung, sondern sollte zugleich auf den Wandel der Beziehungen innerhalb der Generationen achten; eine doppelte Perspektive, die zwar verdrängt, dass die Zeit linear verläuft, aber dennoch eine Fortschreitung zum Thema hat. Denn mit jeder Generation ging scheinbar etwas verloren, obwohl in den mittleren Generationen die deutsche Sprache dazugewonnen wurde. Sind demnach die vom Titel benannten „Cyklen“ nicht innerhalb der Familienabfolge zu suchen, sondern wird mit diesem „Räderwerk“ eine Rhythmisierung von Kultur- und Sprachwandel angedeutet? Durch die kleine Betonung auf eine Ablehnung der sorbisch-wendischen Sprache innerhalb der Familie scheint das lyrische Ich, das sich ansonsten scheut, wertend zu urteilen, hintergründig einen kulturellen Verlust zu beklagen.
An dieser Stelle sticht ein Ton hervor, der den gesamten Band durchzieht: Wird die Kultur in Ober- und/oder Niederlausitz angesprochen, so erscheint sie im Kleid der Vergangenheit oder des Weichenden. Ist das „Sorbische“ nur noch ein – wenn auch umtriebiges, wandelbares – Gespenst einer gesamtdeutschen Kultur? Unter dieser Prämisse werden auch die anderen Gedichte Domašcynas, ihre sinnlicheren, zu einem Versuch der Überwindung von festgelegt bindender Sprache und damit des Zivilisatorischen durch eine Gefühls- und Triebwelt, die als ureigene archetypische „Sprache“ verstanden werden könnte.
Daraus entstünde dann ein ganz neues Instrument, mit dem Poesie gestaltbar werden würde, und Róža Domašcyna gebrauchte dann für ihre Gedichte unsere Sprachmittel für Lyrik nur als Medium. Mit dieser These versteht man viele ihrer Texte anders als beim ersten Lesen:
Epitaf
alles außer dir
ist außer mir
wie dieser flache hügel
da ist nichts drin
da du ja in mir
bist
Letztendlich ist „Feldlinien“ ein Band, der nach mehrfacher Lektüre viele spannende Blickwinkel eröffnet, die man der klaren schlichten Sprachgestaltung vorerst nicht zutraut. Der vorliegende Sammelband beinhaltet eine Konstellation von Gedichten, die den „Wandel“ und das „Stete“ erfahrbar machen und dem viele Leser zu wünschen wären.
Greifswald, den 19. November 2014
Róža Domašcyna: Feldlinien. Aus fünfundzwanzig Jahren. Hrsg. von Jens-Fietje Dwars. Bucha bei Jena (quartus-Verlag) 2014. 95 S., 14.90 €.