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Róža Domašcyna: Die dörfer unter wasser sind in deinem kopf beredt

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Timo Brandt

Lyrische Infiltrationszonen


„und ich schreibe das nicht in einer sprache
die sprache schreibt sich in mir“


Das Poetische in den Gedichten von Roža Domašcyna hat eine lange Inkubationszeit. Es auf diese Weise mit einem Virus zu vergleichen, mag zunächst wenig schmeichelhaft erscheinen, aber eigentlich will ich damit schlicht den Hut vor dieser Dichtung ziehen, die vom Papier aus in die Venen stechen und sich so tief in den Lesenden injizieren kann.


Tatsächlich fühlt man sich zunächst sehr erhaben über diese Gedichte, ihre porös und diffus wirkenden Schwingungen, doch umso genauer man liest, die Zeilen wirklich abfährt und sich einlässt auf die Bilder und Emotionen, die durch jene Schwingungen in Bewegung versetzt werden, desto mehr schwindet diese Sicherheit, wird aufgelöst und zerrieben von den Ablichtungen und Beschwörungen, den düsteren und magnetischen Landschaften, die in dieser Lyrik – ganz gleich ob seelisch oder plastisch, das lässt sich in diesen Gedichten oft nicht trennen – ausgebreitet werden.

Verblüffend sind dabei vor allem die verästelnden Verschränkungen, die in vielen Gedichten entstehen, sich darin ansammeln und die sich zu Windungen auswachsen, die einem schnell, wie ansteigendes Wasser, bis zum Hals stehen; die Gedichte überschwemmen den Leser, reißen ihn zu sich, laden ihn ganz dicht bei ihrer Wirklichkeit ab.


In Nahaufnahme sieht das dann beispielsweise so aus:

„in der ellipsenform eines tages
tasten sich baumkonturen aus den fugen
dein körper faltet sein fasergebilde
in die sich verjüngenden schatten der gehölze
die gebärden des körpers
wollen höher hinaus als das holz
ist das was du tust das was du willst
ist es zu wenig?“


Ellipsenform, das kann zweierlei bedeuten: es könnte auf die geometrische Form Bezug nehmen, das Umkreisen der Sonne, aber auch die Auslassung, die Verkürzung, könnte damit gemeint sein; hier vielleicht in neue Zusammenhänge versetzt, gekoppelt mit dem Erfahren der verstreichenden Zeit. Die Wendung „eines Tages“ verschränkt diese schöne Doppeldeutigkeit weiter, denn es könnte damit ein beliebiger, aber auch ein bestimmter, grade vergangener Tag gemeint sein (und außerdem könnte es, wenngleich das eher unwahrscheinlich ist, auch als Voraussage gemeint sein).

In dieser auslassenden oder zweierlei Fixpunkte umkreisenden Form tasten sich nun Baumkonturen aus den Fugen. Die Fuge ist schon ihrer Betonung nach etwas Schmales, etwas, das zwischen den Dingen liegt; aber sie ist auch eine harmonische Ordnung, aus der nun etwas wächst, die Kontur eines lebenspendenden Wesens, das tastet, also prüft. Der Körper, anscheinend anwesend, vielleicht sogar Raum für dieses Spektakel, wird ebenfalls eingebunden und faltet sein Fasergebilde – also die ihn ausmachenden, ihn durchziehenden Einzelmeldungen – in die verjüngten Schatten der Gehölze. Bei einem Gehölz denkt man eher an Wuchern als an Wachsen, da ist jetzt weniger ein Tasten am Werk als ein Breitmachen, Feststehen. Aber allzu hoch reicht es noch nicht und in die Spitzen der Schatten, die fallen von den Gewächsen, faltet das Ich all sein Einzelnes.

Und will doch – im Zuge dessen, oder im Anschluss? – höher (hinaus?) als das Holz. Es hat das potentiell Zerfasernde, Widersprüchliche zusammen- und abgelegt und fragt sich, nach Höherem strebend: ist das was du tust (und/oder, weil wichtiger: oder) das was du willst – ist es zu wenig? Das doppelte „Ist“ verweist schön auf eine Dringlichkeit, ein Bewusstwerden; verweist darauf, dass hier, in diesem Gedicht, etwas, ein Ich oder ein man, unmittelbar vor dieser Frage steht. Schon wieder ist ein Tag vergangen, verschwunden und alles wächst und hält nicht ein, und wenn man über sich und das Wachsende hinauswachsen will, muss man sich fragen, was man eigentlich will oder tut. „Alle deine tage tragen schilder“, heißt es in einem anderen Gedicht.

Dies nur ein kurzes, hoffentlich anschauliches Beispiel für die generierende und verschränkende Kraft in den Versen von Roža Domašcyna.

„nicht feind den gibt es nicht in meiner sprache
den sieger gibt es auch nicht das dilemma
begann wohl mit der wässrigen bezeichnung“


Unterteilt ist der Gedichtband in fünf Abschnitte. Der erste beschäftigt sich mit Entwicklungen: in Landschaften, der Natur, im Inneren, grundsätzlich. Der zweite schlägt eher verspielte Töne an, ist manchmal geradezu übermütig; hier kommt man vor allem sprachlich auf seine Kosten. Der dritte Teil ist dann einer intensiven Auseinandersetzung zwischen einem Ich und einem Du gewidmet, ein immer wieder mögliches Wir erscheint, ein Zwiespalt zwischen den Körpern verfestigt sich. Hier beeindruckte mich die Autorin wiederholt durch die Vielzahl ihrer Tonlagen; zärtliche wie auch unheilvolle Ansätze stechen hervor, das Bedrohliche wendet sich ins Behagliche und umgekehrt. „Brücke ohne Anbindung“, der vierte Teil, beschäftigt sich vielfach mit Vergangenem, Erinnertem, wofür der Titel eine sehr gelungene Illuminierung darstellt. Im letzten Teil ist in vielen Texten ein leicht anarchisches Element vorhanden – hier bricht sich noch einmal etwas Bahn.

„die schlange beißt sich in den rachen
die alten frauen gehen mit lachen
beim puppenstechen bricht die nadel
das letzte ufo setzt auf paddel
der treibstoff treibt noch keine preise“


Doch gerade wenn man sich diesen letzten Teil ansieht, kann man noch auf einen Aspekt eingehen, der ebenfalls eine Qualität von Domašcynas Lyrik ist und ihr ein besonderes Antlitz verleiht: die Imaginationskraft. Wie oben schon einmal angesprochen, lassen sich in den Gedichten die seelischen/innerlichen Landschaften schwer von den äußeren Erscheinungen und Ereignissen trennen – zumindest nicht entlang einer glasklaren Linie, zu verschränkt sind die Texte. Das ist das Verdienst eben jener Imaginationskraft, die viele Bilder und Szenarien und sprachliche Prozesse verwendet, die beide Bereiche, innen und außen, in gleichem Maße intonieren können.

Diese Imaginationskraft zersetzt auf faszinierende Weise jede Möglichkeit einer einfachen, aufs Sinnstiftende abzielenden sprachlichen Verfahrensweise und ersetzt sie durch eine mehrschichtige, tiefergehende Eruierung und Verdichtung, die oft in nicht gestellten,  kaum angebahnten Fragen zu Tage tritt und gipfelt, die hinter den aufgeworfenen Dingen liegen, lauern, auftauchen. Versprechen, Versuchungen, Vermutungen, Verluste und vieles mehr, das alles wird durch die Worte in eine Ferne gerückt, beiseitegeschoben, und kehrt zurück als eine Grundierung, tropft durch ein Leck im Rumpf der Zeilen, der gegen die Aufmerksamkeit des Lesenden stieß.

„tun einfach alles um unsere gestalt lange
bei zu behalten in der stunde
die nach rosen und fäulnis duftet“


Wie so oft, ist es auch hier unmöglich, auf alle unerhörten, faszinierenden und komplexen Phänomene innerhalb des Bandes einzugehen und sie genug und ausreichend abzutasten – ein Einblick/Ausblick muss genügen. Es gibt in jedem einzelnen Text noch viel zu entdecken, das Haptische und Untergründige will genauestens nachvollzogen werden. Ich hoffe, dass sich viele Leser*innen zu diesem Abenteuer einfinden.

„dir reichts noch zu reisen zum Ballermann
oder nach Bali und Tunis nein von dort
kommen sie geschwommen gefahren
ohne vorkehr wollen keine rückkehr“


Roža Domašcyna: Die dörfer unter wasser sind in deinem kopf beredt. Gedichte. Hrsg. von Han Kuhlbrodt, Jayne-Ann Igel und Ralph Lindner. Leipzig (poetenladen Verlag) 2016. 128 Seiten. 18,80 Euro.

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