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Rolf Persch: abschied nehme ich schon immer

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Jan Kuhlbrodt


Zu Rolf Persch



vorbei

ginge es nach mir
ich schriebe nicht

anstelle dessen
ginge ich

ginge und ginge
und ginge

wohin
ich ginge

ginge durch
und vorbei

vorbei
das erlösende

das beängstigende
wort vorbei


Vorab: Wenn diese Besprechung einige sehr pathetische Sätze enthält, liegt das an meiner Begeisterung für dieses Buch, die ich nur schwer zügeln kann.

Auf einer Veranstaltung am LCB drückte mir Norbert Hummelt eine Karte in die Hand, auf der ein Buch angekündigt wurde, das er herausgegeben hatte, und weil ich mich für ziemlich alles interessiere, was Hummelt so macht, bestellte ich mir daraufhin ein Rezensionsexemplar des Bandes abschied nehme ich schon immer, mit ausgewählten Gedichten von Rolf Persch.

Im Vorwort, einem biografischen Essay von Sabine Schiffner, lese ich von einem Leben, das sich weit ab von kultureller Hautevolee entwickelt, von überwundener Drogensucht, Armut, Geldbeschaffungsstrategien, der Suche nach Publikationsmöglichkeiten. Persch lebte von 1949 bis 2015.

Erschienen ist das Buch im Kölner Sprungturm Verlag, der von Boris Becker betrieben wird, nicht dem Tennisspieler natürlich, sondern dem Kölner Graphiker und eben Verlagslektor. Kurze Zeit später fand ich einen schön gestalteten, in schwarzes Leinen gebundenen Band in der Post. Schon beim Hineinblättern wurde mir klar, dass ich ein Buch in der Hand hielt, das fortan zu meinen liebsten gehören würde.

Gedichte, mehrheitlich kurze Gebilde, einfach, aber geschliffen. Und voller Humor. Und mit Humor ist hier nicht jene Witzigkeit gemeint, die im allgemeinen Humor immer nur antäuscht, aber im Grunde nur Spießbürgerlichkeit überdeckt, sich ihren Spaß irgendwo ausborgt. Im Gegenteil, Perschs Humor ist strukturell, wie auch der von Jandl beispielsweise, um ihn gleich mal auf die Höhe zu bringen, die ihn auszeichnet.

Perschs Humor operiert letztlich im Angesicht des Todes und des Schreckens, ist der befreiende Humor, der dazu in der Lage ist, eben Tod und Schrecken einen Moment lang zu bannen. Und er findet die Vergänglichkeitszeichen in den einfachsten Dingen. Das erst macht das Lachen befreiend.

Die von Hummelt besorgte Auswahl aus dem Werk macht dann auch einen Prozess sichtbar, den Persch von seinen ersten Gedichten bis hin zu seinen letzten und nachgelassenen durchlaufen hat. Wenn die ersten noch sehr an der Wiener Ausprägung der konkreten Poesie erinnern, wird darin schon eine Emanzipation hin zu einem eigenen Sound erkennbar. Das liegt vor allem daran, dass die Texte, formal vom erwähnten Vorbild kommend, den Fokus zunehmend auf ihre unmittelbare Umgebung legen. Die Absurdität und der strukturelle Humor, der in den Dingen liegt, sind eben konkret. Und mit der Konkretion der Gegenstände, konkretisiert sich auch die Form, gewinnt ihre eigenartige Ausprägung.

In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Aspekt zu erwähnen. Aufgrund eingeschränkter Publikationsmöglichkeit begann Persch, seine Texte selbst zu vervielfältigen und als Abotexte zu verkaufen. In diesen Arbeiten tritt die grafische Struktur der Gedichte hervor. Im Buch sind diese Abogedichte als Reprint abgedruckt. Man sieht die Texte zwischen Dichtung und bildender Kunst changieren, und die Textbilder stellen den Zusammenhang zwischen Semantik und graphischer Gestalt, der jedem Gedicht innewohnt, großartig heraus.

Was mich verwunderte, war, dass ich von Persch noch nie etwas gehört hatte. Das mag daran liegen, dass der Autor keinen Zugang zu einem größeren, überregionalen deutschen Verlag fand. Aber Kollegen aus dem Kölner Raum und darüber hinaus aus NRW nickten heftig, als ich sie auf Persch ansprach. Er scheint so etwas wie ein Geheimtipp zu sein. Zu hoffen wäre, dass er durch diese Ausgabe den Geheimzustand verlässt. Das Buch jedenfalls hat das Zeug, zum Kultbuch zu werden. Und es zu lesen ist ein großer befreiender Spaß.


Rolf Persch: abschied nehme ich schon immer. Gedichte. Hrsg. von Norbert Hummelt. Köln (Sprungturm Verlag) 2016. 292 Seiten. 24,90 Euro.

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