Roberta Dapunt: die krankheit wunder / le beautitudini della malattia.
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Elisa Weinkötz
Roberta Dapunt: die krankheit wunder / le beautitudini
della malattia. Deutsch – italienisch. Übersetzt von Versatorium. Wien, Bozen (Folio
Verlag) 2020, 163 Seiten. 20,00 Euro.
Das Buch erschien 2013 auf Italienisch bei Guilio Einaudi
editore, Turin.
„vers in version“
Roberta Dapunts Gedichtband le beautitudini della
malattia / die krankheit wunder in der mehrsprachigen Übersetzung von
Versatorium
Das deutsche Wort „Karfreitag“ ist verwandt mit dem
englischen care für Kummer und Sorge. Dass jemand da sei, zu kümmern
und zu umsorgen, ist dem Leid also schon eingeschrieben. Für die Gedichte von
Roberta Dapunt sind solcherlei wörtliche Korrespondenzen grundlegend. Ihre
Gedichte bewegen sich um ein dementes Du, dem die Erinnerung und die Sprache
abhandengekommen ist. Es ist jene „enge öffnung des sprechens“ aus der diese
Gedichte entstehen. Dort wo Erinnern und Erzählen unmöglich werden, greift eine
Logik, die dem Dichten urverwandt scheint; es ist ein vereinzeltes Sprechen, in
sich verkehrt, lose. In Dapunts Gedichten wird die Krankheit zu einem sakralen
Wunder, aus der die Produktivität dichterischen Sprechens entsteht.
le beautitudini della malattia ist der italienische
Titel des schon 2013 erschienenen Gedichtbands der italienischen Lyrikerin. Das
Wiener Übersetzerkollektiv Versatorium hat jetzt im Folio Verlag die mehrsprachige
Übertragung die krankheit wunder vorgelegt. Die Fürsorge um den labil
gewordenen Leib der alten Uma, der Mutter, ist litaneiförmig wiederkehrender
Gegenstand aller Texte in diesem Band. Sie sind getragen von einer beinah
heiligen Intimität der Körper, und einer Ruhe der sich wiederholenden
Handlungen. Den Gedichten ist eine Sorgfalt eingeschrieben, die sich auf die
tägliche Routine der Pflege stützt. Stets steht die Frage im (Gedicht-)Raum,
wie denn angesichts jener Krankheit, die vergessen macht, (miteinander)
gesprochen werden kann. Im Gedicht „das zwiegespräch“ heißt es: „Zu nichts
spreche ich, nichts antwortest du. / So weißt du jetzt was ich nicht wusste, /
erzählst was ich früher nicht gehört, / hörst was ich nie gesagt hätte. / Wir
bedürfen unser, also.“
An manchen Stellen klingen die Gedichte fast hymnisch. Das liegt
an ihrem wiederkehrenden liturgischen Vokabular, das liegt aber auch an dem
Satzgefüge der deutschen Übertragung, die sich an der Syntax des Italienischen
orientiert und so einen ganz eigenen Rhythmus generiert. Der vielleicht an
Hölderlin erinnernde Ton ist nicht überhöht, er schwingt sich auf einer
gewissen Frequenz ein – und bricht wieder: „ich bewahre ja von deiner verehrung
ein heiteres fehlen von lärm / und gewahre: unser ist nicht aufzulösen den
glauben.“ Der Glaube bildet das Kontinuum der Gedichte, ein Fest(es) inmitten
des los gewordenen Erinnerns. Es ist der Ritus, der wiederkehrende Rhythmus des
Pflegens und Schreibens, der im Schweigen einen Halt gibt. Die Waschung, das
Abendmahl, das Gebet und auch das Leiden und Sterben Christi bildet den Rahmen,
in dem sich dieses Leben mit der Demenz abspielt. Die Krankheit wird
seliggesprochen: „Dass mir erlaubt sei zu sagen: die krankheit wunder, / denn
im geist hast du erreicht den vollkommenen zustand / der erinnerungen die keine
augen mehr haben und nicht zurückschauen.“
Es ist die Leistung der Übersetzung, die der Leerstelle der
Dialogizität einen Raum gibt. Zunächst fällt die Anordnung auf; die Gedichte
reihen sich nicht in eine Abfolge von Original und Übersetzung, sie stehen
leicht verstreut auf den Seiten, als handle es sich um eine Sammlung loser,
durcheinander geratener Blätter. Die eingefügten leeren Seiten und die
fehlenden Seitenzahlen unterstützen den Eindruck der Orientierungslosigkeit. Neben
den italienischen und deutschen Gedichten findet sich ein Abschnitt in
kyrillischer Notation. Das Prinzip der Verschiebung schreibt sich in den Versen
der Übersetzung fort, sodass zwischen den Texten eine Zwiesprache entsteht, die
zugleich Vertrautheit wie Fremdheit evoziert. Es ist notwendig, auf diese
Übersetzungspraxis hinzuweisen, da Dapunts Gedichte eben von jener Verschiebung
im Dialogischen sprechen, die die Übersetzung gleichsam steigert. Die verquere
Kommunikationssituation zwischen Ich und Du im Angesicht der Krankheit
entspricht dem poetischen Modus des Dichtens – und jenem des Übersetzens.
Zum Welttag der Poesie am 21. März hat die Deutsche Akademie
für Sprache und Dichtung zum siebten Mal die Lyrikempfehlungen
deutschsprachiger und ins Deutsche übersetzter Neuerscheinungen vorgestellt.
Unter der diesjährigen Auswahl ist auch die Übersetzung der Gedichte Dapunts,
die die Kritikerin und Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl empfiehlt. Roberta
Dapunt ist Bäuerin und Lyrikerin und lebt im Gardertal in Südtirol, wo sie 1970
geboren wurde. 1993 erschien ihr erster Gedichtband OscuraMente, weitere
folgten, zuletzt Sincope, für den Dapunt 2018 den renommierten
Repaci-Viareggio-Preis für Lyrik erhielt. Dapunt schreibt auf italienisch und
ladinisch, der rätoromanischen Sprache ihrer Heimat. Die Übersetzergruppe Versatorium
hat bereits eine erste Übertragung Dapunts Gedichte vorgelegt; ihr Band la
terra più del paradiso / dies mehr als paradies ist 2016 ebenfalls
im Folio Verlag erschienen. Der „Verein für Gedichte und Übersetzen“ ist mit
dem Institut für Komparatistik der Universität Wien assoziiert und verschreibt
sich einem forschenden und experimentellen Übersetzen. Im Zuge dieser kollektiven
Arbeit sind neben den Gedichten von Roberta Dapunt, u.a. Bände in Zwiesprache
mit Charles Bernstein und Elfriede Jelinek entstanden.
‚Vers‘ kommt vom lateinischen vertere, kehren,
wenden, drehen; er bezeichnete einst das Umwenden des Pflugs und die mit ihm
entstehende gepflügte Arckerfurche. Für die Übersetzungsarbeit an den Gedichten
Dapunts bedeutet das, „vers in version“ zu versetzen, wie es im Schlussvers des
Gedichts „verstellen“ heißt. Es beginnt so: „Verstellung die einzige wahrheit
im vers.“ Das italienische „l’ipocrisia“, so viel wie ‚Heuchelei‘, wird in der
Übersetzung zum räumlichen Kippbild und zum poetologischen Programm der
Übersetzung, das darin aber auch und vor allem den Gedichten Dapunts folgt. Die
Übersetzungen zwingen nichts auf, was nicht angelegt wäre, aber sie wagen alles
Mögliche – und das ist der große Gewinn ihrer Lektüre.
Lesung Roberta Dapunt: „DIE KRANKHEIT WUNDER | LE BEATITUDINI DELLA MALATTIA“ - https://www.youtube.com/watch?v=VHifr1fQp1s