Robert Serban: Feintod // Nah an der Gürtelline
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Timo Brandt
Die kleinen Worte und
der feine Tod
„irgendwiebedauere ich, dass ich abends Tee trinkewährend die Flaschen mit Whiskey, Kognak, Wodka und Tequilaseit Jahrenungeöffnet in den Schränken herumliegenwas werde ich wohl damit anfangen?wann mag ich sie je austrinken?“(Nah an der Gürtellinie)
Gleich zwei Bände des rumänischen Dichters Robert Şerban
(beide übersetzt von Gerhardt Csejka) hat der Pop Verlag diesen Februar
herausgebracht. Im Original erschienen die Bände „Feintod“ und „Nah an der
Gürtellinie“ 2010 bzw. 2015.
Unterscheiden tun sie sich vor allem in Nuancen, viele
Grundmotive tauchen in beiden Bänden auf. „Feintod“ ist mitunter etwas
ominöser, havarierender und thematisch etwas breiter aufgestellt, während „Nah
an der Gürtellinie“ sich etwas offener zur Melancholie und zur Mitteilsamkeit
bekennt.
„mein Herz ist ein hungriger Spechtvogel,verständlich, dass einige ihn husch-husch wegscheuenmöchtenandere ihn aus Beutelchen oder Hosentascheeiniges streuen“(Feintod)
Bereits nach kurzer Zeit habe ich mich bei der Lektüre an
die Gedichte von Nicolas Born erinnert gefühlt – nicht nur, weil auch Borns
Tochter, ebenso wie Şerbans, dann und wann in seinen Gedichten vorkommt (und
diese wiederkehrende Anwesenheit eines Kindes ist mir aus keinen weiteren lyrischen
Werken bekannt), sondern vor allem wegen jener an der Kippe zur Sentimentalität
stehenden und zu ihr hinüberblickenden Lakonie, die so manches Gedicht von
Şerban ausmacht und auch in den (wenngleich oft rotzigeren) späten Gedichten Borns
nicht selten den Ton angibt. Auch die Lyrik von Sarah Kirsch, mit ihrer
unruhigen Gesetztheit, fiel mir bei mancher Formulierung ein.
Letztlich greifen aber beide Vergleiche nicht wirklich, denn Şerban wagt Sprünge, die weder Born noch Kirsch getan hätten. Es sind die daraus entstehenden kleinen Brüche, Verwinkelungen, Biegungen und Abzweigungen, in denen – vor allem in „Feintod“ – seine bestechendsten Verse zu finden sind. Kleine Intermezzi, oft nur beiläufiges Beiwerk, zwischendurch Gesprochenes, das dem Verdacht der großen Geste oder festschreibenden Aussage entgeht und dennoch unvermittelt glänzt.
„also begann ichvon mir zu sprechendas kann ich sehr gutobgleich ich mich gar nicht wirklich kenne“(Feintod)
„oftmals erfreue ich mich an derart nichtigen Dingen,dass der Verdacht in mir aufkommtich wisse nicht recht was ich mir vom Leben denn wünsche“(Feintod)
Ansonsten schneidet „Feintod“ viele Themen an – von denen Heranwachsen und Selbstwahr-nehmung zwei zentrale sind – wobei der im Titel steckende Tod nicht zu kurz kommt, sich unter vielen Vorzeichen und in vielen Gewändern manifestiert.
So z.B. einerseits in einem Gedicht über ein paar Hundewelpen, von denen sich das lyrische Ich den schönsten aussuchen soll; die anderen, weiß es, werden dann in einem Sack zum Fluss gebracht. Und so gaukelt es den Erwachsenen wochenlang vor, es könne sich nicht entscheiden. Und andererseits in einer Elegie auf einen toten Freund, in der es am Ende wieder einen Sprung gibt:
„seit du gestorben bistplagt mich immer heftiger die Ungeduldmeine Tochter schneller heranwachsen zu sehen“
Die eigene Sterblichkeit, sie ist den Dichtenden (die sich täglich im Sterben üben, wie Joseph Brodsky sagte), die sich dem Enthüllen von allem und so auch ihrer selbst verpflichtet haben, näher als vielen anderen Menschen. Diese eigene Sterblichkeit spielt in „Nah an der Gürtellinie“ noch eine größere Rolle – ich hatte aber das Gefühl, dass sich zu der Obsession nun auch eine Art von Gelassenheit gesellt hat.
„ich lese Elioterblicke zwischen den Versenwie zwischen Dünenden morgigen Tagda ich zum Basketball gehen und in einem fort laufen werdenach einem Ball der große Ähnlichkeit mit der Erde hatund den ich mit einer Hand spiele“(Nah an der Gürtellinie)
„Nah an
der Gürtellinie“ gefällt mir alles in allem besser. Hier sind Gedichte
enthalten, die mich nicht nur faszinieren, sondern sehr nachdenklich stimmen,
nach dem Schließen des Bandes noch umtreiben. Wobei ich umgekehrt explizit
darauf hinweisen will, dass „Feintod“ die faszinierenderen Gedichte enthält,
die mehr sprachliche Ecken und Kanten aufweisen.
In diesem späteren Band sind viele Texte enthalten, in denen
Ruhe und Launigkeit eine schöne Verbindung eingehen, in denen Ergriffenheit und
Schlichtheit eine gute Balance gefunden haben. Und Zärtlichkeit, viel
Zärtlichkeit scheint immer wieder durch. Keine überbordende, sondern eine stets
geerdete, fest in einem Anblick, einem Moment verankerte Zärtlichkeit. Wie etwa
in einer Szene aus dem Kinderzimmer der Tochter.
„ich betrachte sie durch das Holzgitter des Bettchensund weiß, dass sie auch im Schlafmein Herz hören kannmit einem Gesang für siepa-pa-papa-pa-papa-pa-pa“
Das große Vertrauen, das in solchen Gedichten mitschwingt und aus ihnen spricht, ist eine nicht zu unterschätzende Qualität von Şerbans Lyrik. Darin ein Zug, der sich auf die Welt einlassen will, ohne Wenn und Aber, mit behutsamer Treue zu den Dingen, wie sie sind, wie sie liegen. Im Wissen darum, dass die Sprache und die Wirklichkeit sich beide entziehen und dass der Versuch, das eine mit dem anderen zu greifen, einer fast schon lächerlichen Narretei gleicht, in jedem Fall lediglich eine fragile Konstruktion zur Folge haben kann, eine schwebende Schwere.
„die kleinen Worte werden nicht über sich hinauswachsenvielleicht mag ich sie deshalb so sehrund rufe sie deshalb immer wieder zu mirohne ihnen übel zu nehmen dass sie nicht kommen wollen“
Şerbans Gedichte machen es sich nicht leicht, aber sie sind unverkennbar versöhnlich. Und das obwohl sie immer wieder nach unversöhnlichen, unlösbaren Strängen suchen. Idyllen sind so gut wie nie ihr Thema, immer sind da, noch im Kleinsten, Ängste, Erschütterungen, von denen sie ausgehen, auf die sie hinauslaufen. Aber von dem Versuch einer Annäherung, einer kürzeren Wegstrecke zwischen Ich und Welt, Konflikt und Hoffnung, können sie nicht lassen. Und wieso sollten sie auch.
„jedem Montag entnehme ich dem Papierpackein neues Blattauf dem ich so groß und lesbar wie möglich aufschreibewas mir bevorstehtsooft mein Blick darauf fälltbin ich resigniertdoch sicherdass ich aus jener ganzen Liste irgendwiemit dem Leben davonkommen werde“
Schön, dass von diesem Lyriker nun so viele Gedichte (ein weiterer Band erschien bereits 2009 beim Pop Verlag) auf Deutsch verfügbar sind. Ich kann nur jedem empfehlen, sich zumindest einen der Bände mal anzusehen. Ich bin froh, zwei davon bei mir stehen zu haben und bin davon überzeugt, dass ich sie noch öfters aufschlagen werde. Denn diese Momente der Ambivalenz, die darin verhandelt werden, unentwegt, kenne ich nur zu gut und Şerban versteht es, sie offenzulegen, mit einfachen, mit kleinen Worten zu wiegen und zu zeigen.
„Steigst du den Hügel hoch und blickst von da auf die Welterscheint sie dir schöner und bessergleichwohlpackt dich unwiderstehlich die Lust mit Steinenzu werfen“
Robert Serban: Feintod. Gedichte. Übersetzt von Gerhardt Csejka. Ludwigsburg (Pop Verlag) 2018. 94 Seiten. 16,50 Euro.
Robert Serban: Nah an der Gürtellinie. Gedichte. Übersetzt von Gerhardt Csejka. Ludwigsburg (Pop Verlag) 2018. 86 Seiten. 16,50 Euro.