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Robert Creeley: Histoire de Florida

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Augusta Laar

Robert Creeley: Histoire de Florida. Übersetzt und mit einem Nachwort von Susanne Darabas. London, München (Materials/Materialien) 2020. 28 Seiten. 5,00 Euro + Versand


"'Form', as Creeley famously said, 'is never more than an extension of content,' thereby aligning his art with that of bop musicians and action painters. From Jackson Pollock, he learned that 'one is in the activity'; the work of art a 'manifest directly of the energy inherent in the materials'. This 'was an excitement many of us shared,' he later affirmed, one that would inform everything he wrote." (The Guardian)

In den 80er Jahren war es nicht einfach, in München Bücher mit amerikanischer Lyrik zu finden. In der Buchhandlung Wordsworth in der Schellingstrasse, die eigentlich eher auf britische Autoren spezialisiert war, fand ich zumindest vereinzelte Gedichtbände von Alan Ginsberg, Gregory Corso und den Band The Collected Poems Of Robert Creeley, 1945-1975. Ein Buch von Anne Waldman bekam ich auf Bestellung nach zwei Jahren. Früher, in der Prae-Internetzeit war das so, man dachte nicht weiter darüber nach und war froh, diese Bücher, echte Schätze, überhaupt zu bekommen. Bei Wordsworth lief klassische Musik und in den damals noch etwas größeren Räumlichkeiten gab es auch Lesungen. U.a. las dort der junge Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro aus seinem zweiten Roman, An Artist of the Floating World, den er mir auch signierte. Der Slogan des Buchladens war: “the place to go for people in the know“. Dadurch fühlte man sich sowieso besser, hier gelandet zu sein.

Robert Creeley war eine meiner ersten Begegnungen mit amerikanischer Lyrik in Originalsprache. Kein Wunder also, dass ich mich gefreut habe über die Neuveröffentlichung seines Langgedichts Histoire de Florida. Susanne Darabas studierte Amerikanische Literaturgeschichte in München. Die Texte von Robert Creeley, über den sie auch eine Seminararbeit schrieb, faszinierten sie so, dass sie 200 seiner Gedichte ins Deut-sche übersetzte. Allerdings musste sie feststellen, dass das Interesse in Deutschland gering war: Die angeschriebenen Verlage gratulierten ihr zwar, aber für eine Veröffentlichung war ihnen der Autor hierzulande zu unbekannt. Es ist das Verdienst von Lisa Jeschke, der Verlegerin von Materials/Materialien in London und München, die Übersetzung des Langgedichts aus der Schublade der Münchner Autorin herauszunehmen und als Chapbook zu präsentieren.

Im Klappentext von Mirko Bonnés längst vergriffenem zweisprachigen Buch Robert Creeley, Alles, was es für immer bedeutet, Jung und Jung, 2006, mit ausgewählten Gedichten aus Creeleys Spätwerk, darunter auch Teilen von Histoire de Florida, heißt es: "Wer auch nur ein Gedicht von Robert Creeley liest, weiß sofort, warum er überhaupt Gedichte liest, was er davon erwartet: vor allem Unmittelbarkeit. Dabei sind es gerade die Mittel - die Sprache, ihr Ton, ihr Takt, ihre Themen -, die das bewirken, was uns bei Gedichten anzieht …"

Am 21. Mai 1926 als Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester in Arlington, Massachusetts, geboren und in ländlicher Umgebung aufgewachsen, war Robert Creeley ein ebenso sesshafter wie weitgereister Dichter, der sich an den unterschiedlichsten Orten zu Hause fühlen konnte. In einer Einführung zu seinem Leben und Werk schreibt Susanne Darabas: "… Er selbst hat anfangs seine Schwierigkeiten mit Verlegern und Herausgebern, die ihn fast durchweg zurückweisen. Er muss sich über Umwege zum Erfolg durchschlagen, beispielsweise mit Auftritten im Radio und dem Versuch, ein eigenes, letztlich scheiterndes Magazin ins Leben zu rufen: den Lititz Review."

Bei den herausgeberischen Arbeiten lernt Creeley 1950 Charles Olson kennen, der Beginn einer sich gegenseitig befruchtenden, langjährigen Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft. Gemeinsam wollen sie die literarische Landschaft revolutionieren, neue poetische Formen und eine neue Ästhetik schaffen.
      Olson doziert von 1948-56 am Black Mountain College, dem legendären Bildungsexperiment
in North Carolina, das von 1933-1956 besteht. Es ist diese Bewegung, der Creeley zeitlebens am nächsten steht, und er trägt hier zur Entwicklung des Konzepts der "counter-culture" bei.
 1962 gelingt Creeley der Durchbruch mit seinem ersten Lyrikband For Love. Mit ihrem Improvisationshabitus erinnern die Gedichte an das musikalische Umfeld des Jazz, das sich Creeley in seinen post-Harvard Jahren mit Musikern und Intellektuellen jeder Couleur teilte. Er kannte Charlie Parker, Miles Davis und Thelonious Monk. Die Intensität und die Stärke der Gedichte in For Love ließen Creeley zum gefeierten Lyriker werden, dessen Gedichte aus dem Musikalischen genauso schöpften wie aus dem Avantgardistischen der Language Poets (besonders Williams und Zukofsky). Seine Gedichtbände erregen breites öffent-liches Interesse und festigen seinen Ruf als eine der führenden Stimmen zeitgenössischer Dichter Amerikas, seine Lyrik wird sehr geschätzt und gilt unter Dichter- und Künstlerkollegen bis heute als "basic and necessary as the air we breathe" (John Ashbery).
  Creeley war dreimal verheiratet und hatte sieben Kinder. Seine familiären Verpflich-tungen hinderten ihn nicht an einer akademischen Karriere. 1958 beginnt er als Dozent der namhaften Albuquerque Academy, seine Laufbahn führt ihn weiter bis zur Universität in Buffalo, wo er ab 1966 lehrt, und später an die Brown Universität in Rhode Island. In Amerika residiert er in vielen unterschiedlichen Städten und Gegenden und reist im Rahmen von Fellowships in den 80er Jahren nach und in Europa. Er stirbt 2005, 78jährig, in Marfa, Texas, an einer Lungenentzündung.

"Für Creeley ist das Gedicht der Ort, an dem Fragen und Hypothesen aufgestellt werden, Experimente stattfinden dürfen, Einsichten und Vorstellungen, Möglichkeiten und Erklärungen durchgespielt werden können". (Darabas)

In Anlehnung an den Künstler Franz Kline sagt Creeley: "I write what I don't know ... I feel when people read my poems most sympathetically, they are reading with me. So communication is mutual feeling with someone, not a didactic process of information.”
       Und die Rezeptionserfahrung beschreibt er so: "In poems we realize ... with this implicit and absolutely consequential act of firstness, terms of our own life which, otherwise, are most awkwardly acknowledged."

Robert Creeley besuchte Lesungen aller Dichter. Während andere 'Dichter-Professoren' nach einer 'zermürbenden' 3-Tage-und-20-Stunden-Woche die Nase voll hatten, konnte man Creeley in einer unabhängigen Buchhandlung oder bei einer 'Open-Mic Night' in einer örtlichen Bar antreffen - nicht um zu lesen, sondern um zuzuhören. Wenn seine unerwartete Anwesenheit der Veran-staltung auch kein besonderes Gewicht verlieh, brachte sie doch ein gewisses Maß an Aufregung für die Dichter, die ihn nie getroffen hatten, aber sein Werk kannten: "I read my poetry for the first time tonight and Robert Creeley was there!"
(Kevin T. DiCamillo, PublisherPerspectives)

Das Langgedicht Histoire de Florida erschien zunächst 1996 in kleiner Auflage als Chapbook und wurde später zum ersten Teil des Gedichtbands Life & Death von 1998, das mit dem amerikanischen Bollingen Prize in Poetry der Yale Universität ausgezeichnet wurde. Das Buch mit der Übersetzung ist bewusst einsprachig gehalten. Die Verlegerin Lisa Jeschke, die selbst Lyrikerin ist, sagt dazu, dass sie diese Übersetzung als eigenständige Kunstform sieht und als solche aufwerten möchte. Außerdem würde ein dickerer zweisprachiger Band den Chapbook-Charakter sprengen, der diese Materialien-Bücher auszeichnet. Ihr gefiel, dass Creeley auch als Chapbook-Autor begann und mit der Gruppe der Black Mountain Poets eine eigenständige Poetik begründete. Unter den vielen von Darabas übersetzten Gedichten hatte sie Histoire de Florida ausgesucht, aufgrund von Länge und Form, Titel und Thematik. Aus der Ankündigung der Publikation im Verlag:

"Vielleicht ist der ganze Ort ein gigantischer Pier hinaus
ins Nichts, oder in alles, was anders ist, alles Übrige."

Susanne Darabas' Übersetzung macht Robert Creeleys (1926-2005) Langgedicht Histoire de Florida (1996) erstmals seit der englischsprachigen Erstveröffentlichung als eigen-ständiges Chapbook verfügbar. In diesem Spätwerk geht Creeley mit einer eindrucksvollen Kombination aus Einfachheit (direkter, assoziativer Stil) und Komplexität vor (ungewöhnliche Zeilen- und Syntaxbrüche, von Darabas mit verschlungener Klarheit vermittelt; Florida als Sehnsuchtsort, post-kolonialer Ort, Ort der Privatiers, Rentner*innen und Urlauber*innen). Eine schonungslose Beschreibung sozialer Landschaft - außen und innen.
Insbesondere scheut Creeley dabei nicht das Wagnis, "Alter und Lebensende in ihren Äußerungen greifbarer zu machen, und Themen, die anderen als profan, bagatellhaft oder mit Scham behaftet gelten, zu ergreifen und unter der Lupe seiner eigenen Individualität zu betrachten" (Darabas, Nachwort).
http://material-s.blogspot.com/p/materialien-m.html

"Creeley nimmt mit dem Zyklus Histoire de Florida vor allem die Selbstpositionierung eines Lyrikers vor ... Dazu wird einerseits die alte Auffassung vom Dichterhandwerk, das man lebenslang lernen muss, zitiert, andererseits der Glaube an die Inspiration aufgerufen, der hier mit den bekannten Worten des englischen Emphatikers D. H. Lawrence - 'nicht ich, sondern der Wind, der mich durchweht' - zur Sprache kommt …" (Tobias Döring).

Susanne Darabas hat den Versuch unternommen, den Text möglichst direkt zu übertragen und die emotionalen Vorgänge wiederzugeben, die Creeley anbietet, in der Hoffnung, dass Leser sich davon infizieren und inspirieren lassen. Ihre Aufgabe als Übersetzerin sieht sie darin, den Motiven des Gedichts - Alter, Krankheit, Tod und auch ein bröckelndes Männlichkeitsbild -, vorsichtig und empathisch nachzuspüren. Wir folgen ihr in das vielschichtige Ge-flecht emotionaler Fragen und Spannungsfelder, an denen der Dichter seine Verse bricht und die - sparsam eingesetzten - Worte justiert. Ihre Entscheidungen machen es uns aber nicht immer leicht. Die klare, karge Sprache und der Sprachfluss im Englischen wirken im Deutschen manchmal sperrig. "Die deutsche Sprache ist voluminöser, der Klang ist härter als im Original angelegt, das Englische kommt mit weniger Wörtern aus", sagt sie. Doch die Emotionalität, ein großer Teil von Creeleys Poetik, hat sie ins Deutsche 'hinübergetragen'. Wir lesen und sind mittendrin.

Du bist immer
noch da hinter
dem Spiegel,
Brudergesicht.

Nur gestern
warst du jünger,
jetzt siehst du
alt aus.

Komm raus
solange noch Zeit
ist
zum Spielen.
You’re there
still behind
the mirror,
brother face.

Only yesterday
you were younger,
now you
look old.

Come out
while there’s still time
left
to play.

Wer sich für das englische Original interessiert: Den Zyklus Histoire de Florida gibt es nur vereinzelt im Original (für etwa $125) antiquarisch zu erwerben. Der ganze Band Life & Death ist ebenfalls vergriffen, aber antiquarisch noch ganz gut zu bekommen.

Mit Dank an Susanne Darabas, sie stellte mir ihren Essay: Einführung in Leben und Werk Robert Creeleys zur Verfügung.

Dezember 2021
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