René Descartes: Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie
Poeterey

Portrait von Frans Hals
René Descartes
Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie.
(Meditationes
de prima philosophia, 1641)
Übersetzt
von Ludwig Fischer
Vorwort an den Leser!
Schon vor
einiger Zeit berührte ich die Fragen über Gott und die menschliche Seele in
einer 1637 veröffentlichten französischen Abhandlung über »Die Methode, den
Verstand richtig zu gebrau-chen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu
erforschen«. Es war dabei weniger meine Absicht, diese Fragen dort eingehend zu
behandeln; ich wollte vielmehr lediglich darauf hinweisen, um dann aus dem
Urteil der Leser zu entnehmen, wie ich sie etwa später zu behandeln hätte. Sie
schienen mir nämlich von so hoher Bedeutung zu sein, daß ich ihre wiederholte
Behandlung für erforderlich hielt.
Der Weg, den
ich bei ihrer Entwicklung einschlage, ist noch sehr wenig betreten und liegt
dem gewöhnlichen Wege sehr fern. Es schien mir darum nicht angemessen, ihn in
einer französischen, jedermann zugänglichen Schrift eingehender zu behandeln;
es könnten sonst vielleicht auch Leute, denen die Befähigung dazu mangelt, sich
zu der Meinung veranlaßt sehen, als könnten auch sie diesen Weg betreten.
In der
»Abhandlung über die Methode« bat ich alle, die in meinen Schriften etwas
Tadelnswertes fänden, mir davon freundlichst Mitteilung zu machen. Nur zwei
nennenswerte Einwände gegen meine Bemerkungen bezüglich jener beiden Fragen
sind daraufhin erhoben worden. Ich will hier nur mit einigen Worten darauf
erwidern, und werde später ausführlicher darauf zurückkommen.
Der erste
Einwand sagt: daraus, daß der menschliche Geist, wenn er sich selbst
beobachtet, sich lediglich als ein denkendes Wesen auffaßt, folge noch nicht,
daß seine Natur oder sein Wesen darin allein besteht, daß er ein
denkendes Wesen ist (sodaß also das Wort »allein« alles
andere ausschlösse, was vielleicht noch außerdem als zum Wesen des Geistes
gehörig angesehen werden könnte). Ich erwidere darauf, daß ich dies auch
keineswegs in Bezug auf den wahren Sachverhalt habe ausschließen wollen (worum
es sich damals gar nicht handelte), sondern lediglich in Beziehung auf meine
Auffassung. Der Sinn ist sonach, daß ich gar nichts als zu meinem Wesen gehörig
erkenne, außer, daß ich ein denkendes Wesen, das Subjekt des Denkens
bin. In folgendem aber werde ich zeigen, wie daraus, daß ich erkenne, daß
nichts anderes zu meinem Wesen gehört, folgt, daß auch in Wirklichkeit
nichts anderes dazu gehört.
Der zweite
Einwand behauptet, daraus, daß ich die Vorstellung eines Wesens in mir habe,
das vollkomnmer ist als ich, folge noch nicht, daß die Vorstellung selbst
vollkommner sei als ich; noch viel weniger aber folge daraus, daß der
vorgestellte Gegenstand existiere.
Dagegen
erwidere ich, daß hier dem Worte »Vorstellung« ein doppelter Sinn zu Grunde
liegt. Man kann »Vorstellung« nämlich entweder material, als Thätigkeit
des Verstandes auffassen; insofern kann sie allerdings nicht vollkommner als
ich genannt werden. Oder man faßt sie objektiv auf, als das, was durch
jene Geistesthätigkeit vorgestellt wird. Dieser vorgestellte Gegenstand aber
kann, selbst wenn ich ihn nicht als außer meinem Denken existierend
annehme, seinem Wesen nach doch vollkommner als ich sein. Wie aber daraus
allein, daß in mir die Vorstellung eines vollkommneren Wesens sich findet,
dessen thatsächliche Existenz sich ergiebt, das werde ich im
nachfolgenden ausführlich darlegen.
Es sind mir
auch noch zwei sehr umfangreiche Schriften zu Gesicht gekommen, die indessen
weniger meine Gründe angriffen, als vielmehr meine Schlußfolgerungen mit
Beweisen bekämpften, die sie den Gemeinplätzen der Atheisten entlehnten.
Dergleichen Beweise sind aber bedeutungslos für die, welche meine Gründe
einsehen. Zudem haben viele ein so verworrenes und schwaches Urteilsvermögen,
daß sie die Ansicht, die sich ihnen zunächst darbietet, viel eher für
wahr halten – mag sie auch noch so falsch und unvernünftig sein – als eine ganz
wahre und gründliche Widerlegung dieser Ansicht, die sie erst nachträglich
hören. Darum will ich auf jene Beweise hier nicht näher eingehen, um sie nicht
vor den meinigen mitteilen zu müssen. Ich will nur im allgemeinen bemerken, daß
alles, was die Atheisten gewöhnlich gegen die Existenz Gottes vorbringen, stets
darauf hinausläuft, daß man Gott menschliche Affekte zuschreibe, oder daß
unsere Geisteskraft und Weisheit so groß sein müsse, daß wir es wagen könnten,
festzustellen und zu verstehen, was Gott thun kann und muß. Denken wir aber nur
daran, daß unser Geist als endlich, Gott aber als unfaßbar und unendlich
anzusehen ist, so kann uns dies alles gar keine Schwierigkeiten bereiten.
So habe ich
nun einmal die verschiedenen Ansichten anderer Menschen kennen gelernt und will
nun nochmals mit der Verhandlung jener Fragen bezüglich Gottes und des
menschlichen Geistes beginnen, und werde damit gleichzeitig die ersten
Grundlagen aller Philosophie behandeln.
Ich erwarte
nicht den Beifall der Menge, nicht eine große Zahl von Lesern. Nur die
möchte ich zum Lesen veranlassen, die ernst mit mir nachdenken und ihren Geist
von allem Sinnlichen und von allen Vorurteilen ablenken können und wollen. Ich
weiß wohl, daß dies nur sehr wenige sind! Die aber, welchen es nicht um das
Verständnis der Reihenfolge und des inneren Zusammenhanges
meiner Gründe zu thun ist, und die nur an einzelnen aus dem Zusammenhang
gerissenen Sätzen herumklügeln möchten, wie es gar viele zu thun pflegen, die
werden keinen großen Gewinn vom Lesen dieser Schrift haben! Sie werden
vielleicht vielfach Gelegenheit zu Wortklaubereien finden, etwas Treffendes
oder einer Erwiderung Würdiges werden sie aber wohl schwerlich vorbringen
können.
Aber auch
den anderen kann ich nicht versprechen, daß ich ihnen gleich von vornherein in
allen Punkten Genüge leisten werde. Ich bilde mir nicht so viel ein, daß ich
glaube, alles voraussehen zu können, was etwa dem einen oder dem anderen noch
schwierig erscheinen könnte. Darum will ich zunächst in den »Betrachtungen« den
Gedankengang entwickeln, der mich, wie ich glaube, zur sicheren und klaren
Erkenntnis der Wahrheit führte. Ich will sehen, ob ich vielleicht durch die
nämlichen Gründe, die mich überzeugten, auch andere überzeugen kann.
Darauf will
ich auf die Einwände einiger durch Scharfsinn und Gelehrsamkeit hervorragender
Männer antworten, denen ich diese »Betrachtungen« vor dem Druck zur Prüfung
zugehen ließ. Die Einwände, welche diese machten, waren nämlich so zahlreich
und verschiedenartig, daß ich zu hoffen wage, es könne nichts, wenigstens
nichts Wesentliches mehr erdacht werden, was jene nicht schon erwähnt hätten.
Darum bitte
ich den Leser dringend, über die »Betrachtungen« nicht eher zu urteilen, bis er
alle jene Einwände nebst den Widerlegungen einer geneigten Durchsicht
unterzogen hat.
Übersicht der sechs folgenden Betrachtungen.
In der ersten
Betrachtung werden die Gründe auseinandergesetzt, weshalb wir an allen,
besonders aber an den materiellen Dingen zweifeln können; natürlich nur solange
unser Wissen nicht festere Grundlagen hat als bisher!
Allerdings
dürfte wohl der Wert eines so umfassenden Zweifels nicht auf den ersten Blick
klar sein. Er ist aber gleichwohl sehr groß, insofern er uns nämlich von allen
Vorurteilen befreit und uns am leichtesten in den Stand setzt, den Verstand von
den Sinnen abzulenken. Zugleich bewirkt er auch, daß wir an dem, was wir
schließlich als wahr erkennen, nie wieder zweifeln können.
In der zweiten
Betrachtung macht der Geist von der ihm eigenen Freiheit Gebrauch und nimmt
an, alles das existiere überhaupt nicht, über dessen Dasein auch nur der
geringste Zweifel sich erheben könnte.
Dabei
bemerkt er nun, daß es völlig unmöglich sei, daß er selbst
unterdessen nicht da sei. Das ist aber von größtem Werte für uns. Der
Geist vermag auf Grund dessen leicht zu unterscheiden, was zu ihm, d. h. zum
erkennenden Wesen, und was zum Körper gehört. Vielleicht erwartet aber der eine
oder der andere an jener Stelle Gründe für die Unsterblichkeit der Seele; darum
glaube ich dieselben darauf aufmerksam machen zu sollen, daß es mein Bestreben
war, nichts zu schreiben, ohne es aufs genaueste zu
beweisen. Darum konnte ich keine andere Methode befolgen, als die in der
Geometrie gebräuchliche, nämlich alles vorauszuschicken, von dem der fragliche
Satz abhängt, bevor ich aus demselben irgend etwas folgerte.
Das erste
und wichtigste Erfordernis, um die Unsterblichkeit der Seele zu erkennen ist
aber, daß wir uns einen möglichst klaren Begriff von ihr bilden, der von
jeglichem Begriffe von etwas Körperlichem vollkommen zu unterscheiden ist. Dies
ist dort geschehen.
Weiter ist
erforderlich, zu wissen, daß alles das, was wir klar und deutlich einsehen, wahr
sei. Das kann aber vor der vierten Betrachtung nicht bewiesen werden.
Ferner
müssen wir einen deutlichen Begriff vom Wesen des Körpers haben. Dieser wird
teils noch in der zweiten, teils erst in der fünften und sechsten Betrachtung
gebildet. Daraus ist dann zu schließen, daß alles das, was wir klar und
deutlich als verschiedene Substanzen begreifen, sowie wir Geist und Körper
begreifen, auch in der That Substanzen seien, die voneinander verschieden sind.
Dieser Schluß wird in der sechsten Betrachtung gezogen und wird daselbst noch
dadurch bestätigt, daß wir alle Körper als teilbar, den Geist dagegen oder die
menschliche Seele nur als unteilbar auffassen. In der That können wir ja von
keinem Geiste eine Mitte vorstellen, wie wir es bei jedem noch so kleinen
Körper können. Wir erkennen also das Wesen von Körper und Geist nicht nur als
verschieden, sondern sogar in gewissem Sinne als entgegengesetzt.
Weiter aber
habe ich diesen Punkt nicht in dieser Schrift behandelt, denn einesteils genügt
das, um zu zeigen, daß aus der Auflösung des Körpers noch nicht der Untergang
des Geistes folge, und daß somit die Sterblichen sich Hoffnung auf ein anderes
Leben machen dürfen; andernteils aber hängen die Prämissen, aus denen die
Unsterblichkeit der Seele selbst gefolgert werden kann, von der Darstellung der
gesamten Physik ab: denn erstlich muß man wissen, daß
durchaus alle Substanzen oder Dinge, die zu ihrem Dasein der Schöpfung durch
Gott bedürfen, ihrer Natur nach unvergänglich sind und nur dann aufhören können
zu sein, wenn dieser selbe Gott ihnen die Erhaltung verweigert und sie in das
Nichts zurückversetzt; ferner ist zu beachten, daß der Körper an sich zwar Substanz ist und daher auch niemals
untergeht, daß aber der menschliche Leib seiner individuellen Beschaffenheit
nach nur einen Komplex von gewissen Gliederverbindungen und anderen derartigen
Accidentien darstellt; dagegen besteht der Geist nicht so aus irgend welchen
Accidentien, sondern ist reine Substanz: denn wenn auch alle seine Accidentien
sich ändern, sodaß er z. B. anderes denkt, anderes will, anderes empfindet u.
s. w., so wird dadurch doch der Geist selbst kein anderer, der menschliche Leib
aber wird dadurch allein schon ein anderer, daß die Gestalt einiger seiner
Teile sich ändert. Daraus aber geht hervor, daß wohl der Körper sehr leicht zu
Grunde geht, der Geist aber seiner Natur nach unsterblich ist.
In der dritten
Betrachtung habe ich mein Hauptargument zum Beweise des Daseins Gottes, wie ich
glaube, mit ausreichender Ausführlichkeit entwickelt. Da ich aber den Geist des Lesers so viel wie möglich von den Sinnen ablenken
möchte, wollte ich mich dort keiner Vergleiche bedienen, die von körperlichen
Dingen hergeholt sind, und so sind gleichwohl vielleicht viele Unklarheiten
geblieben, die ich indessen später in den Antworten auf die Einwände völlig zu
beseitigen hoffe; so findet sich unter anderen Schwierigkeiten diese: wieso hat
die Vorstellung eines vollkommensten Wesens, die in uns ist, so viel objektive
Realität, daß sie nur von einer allervollkommensten Ursache herrühren kann? –
Dies erläutere ich in den Antworten durch den Vergleich mit einer sehr
vollkommenen Maschine, deren Idee im Geiste eines Künstlers sich findet; wie
nämlich das vorgestellte»objectivum« Kunstwerk in dieser Idee irgend
eine Ursache haben muß, nämlich die Kenntnisse dieses Künstlers oder eines
anderen, von dem dieser die Idee empfing, so muß die Idee Gottes
notwendigerweise Gott selbst zur Ursache haben.
In der vierten
Betrachtung wird bewiesen, daß alles, was wir klar und deutlich erkennen, wahr
sei, und zugleich wird gezeigt, worin das Wesen des Irrtums
und der Unwahrheit besteht. Dies muß man unbedingt wissen, um sich des
Vorausgegangenen vergewissern und das Nachfolgende verstehen zu können. Man
beachte aber wohl, daß es sich hier keineswegs um die Sünde handelt oder um den
Irrtum, den man beim Streben nach Gutem und Bösem begeht, sondern nur um den
Irrtum, der bei Beurteilung von wahr und falsch vorkommt; auch beschäftigt uns
hier nichts, was in das Gebiet des Glaubens und des praktischen Lebens gehört,
sondern nur die spekulativen Wahrheiten, die wir durch das bloße natürliche
Erkenntnisvermögen erkennen.
In der fünften
Betrachtung wird nicht nur das Wesen des Körpers im allgemeinen klargelegt: es
wird auch das Dasein Gottes auf eine neue Art bewiesen, wobei aber vielleicht
wieder einige Schwierigkeiten vorkommen, die später bei Beantwortung der
Einwände ihre Lösung finden. Schließlich wird auch gezeigt, inwiefern selbst
die Gewißheit geometrischer Beweise durch die Erkenntnis Gottes bedingt ist.
Endlich in
der sechsten Betrachtung wird zwischen Verstand und Vorstellungsvermögen
unter-schieden und die Unterscheidungsmerkmale werden angegeben; es wird
bewiesen, daß der Geist wirklich vom Körper verschieden ist, und es wird
dargethan, daß er gleichwohl so eng mit jenem verbunden ist, daß er mit ihm ein
einheitliches Ganzes bildet. Alle Irrtümer, die gewöhnlich aus den Sinnen
hervorgehen, werden besprochen und die Mittel angegeben, sie zu vermeiden.
Schließlich werden alle Gründe beigebracht, aus denen man
auf das Dasein der körperlichen Dinge schließen kann; – nicht als ob ich
dieselben für besonders wertvoll hielte, um gerade das zu beweisen, was sie
beweisen: nämlich daß es in Wahrheit eine Welt giebt, daß die Menschen einen
Leib haben und ähnliches, woran noch keiner mit gesundem Menschenverstande
jemals im Ernste zweifelte; aber wenn man jene Gründe betrachtet, findet man,
daß dieselben nicht so sicher und einleuchtend sind wie die, durch welche wir
zur Erkenntnis unseres Geistes und Gottes gelangen, und daher sind diese die
allergewissesten und klarsten, die im Bereich der menschlichen Erkenntnis vorkommen
können. Dies allein zu beweisen aber ist die Absicht dieser Betrachtungen.
Darum übergehe ich hier auch verschiedene andere Fragen, die gelegentlich in
dieser Schrift Erwähnung finden.
Erste Betrachtung.
Woran man zweifeln kann.
Schon vor
Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen
habe, und wie zweifelhaft alles sei, was ich später darauf gründete; darum war
ich der Meinung, ich müsse einmal im Leben von Grund auf alles umstürzen und
ganz von vorne anfangen, wenn ich je irgend etwas Festes und Bleibendes in den
Wissenschaften aufstellen wolle. Dies schien mir aber eine ungeheure Aufgabe zu
sein, und so wartete ich jenes reife, für wissenschaftliche Untersuchungen
angemessenste Alter ab.
Darum habe
ich so lange gezögert, daß ich jetzt eine Schuld auf mich laden würde, wenn ich
die Zeit, die mir zum Handeln noch übrig ist, mit Zaudern verbringen wollte.
Das trifft
sich nun sehr günstig. Mein Geist ist von allen Sorgen frei, und ich habe mir
eine ruhige Muße verschafft. So ziehe ich mich in die Einsamkeit zurück und
will ernst und frei diesen allgemeinen Umsturz aller meiner Meinungen
unternehmen.
Dazu wird es
indessen nicht nötig sein, daß ich von allen die Falschheit nachweise;
dies könnte ich vielleicht niemals erreichen! Vielmehr rät uns schon die
Vernunft, bei Ansichten, die nicht durchaus gewiß und unzweifelhaft sind, uns
ebenso sorgfältig der Zustimmung zu enthalten, als bei solchen, die ganz sicher
falsch sind, und so wird es, um alle von uns abzuweisen, genügen, daß ich in
jeder einzelnen einen Grund zum zweifeln finde. Auch braucht
man sie darum nicht einzeln durchzugehen; das wäre eine endlose Arbeit!
Vielmehr werde ich – da ja bei Untergrabung der Fundamente alles, was darauf
gebaut ist, von selbst zusammenstürzt – sogleich die Grundlagen selbst
angreifen, auf die alles sich stützte, was ich früher für wahr hielt.
Alles
nämlich, was ich bis heute für das Allerwahrste hingenommen habe, empfing ich
unmittelbar oder mittelbar von den Sinnen; diese aber habe ich bisweilen
auf Täuschungen ertappt, und es ist eine Klugheitsregel, niemals denen volles
Vertrauen zu schenken, die uns auch nur ein einziges Mal getäuscht haben.
Indessen,
wenn uns auch die Sinne zuweilen über kleine und ferner liegende Gegenstände
täuschen, so ist doch vielleicht das meiste andere derart, daß ein Zweifel ganz
unmöglich ist, wiewohl es auch aus den Sinnen herrührt, so z. B. die
Wahrnehmung, daß ich hier bin, am Ofen sitze, meinen Winterrock anhabe, dies
Papier hier mit den Händen berühre u. dgl. Wie könnte ich leugnen, daß diese
Hände, dieser ganze Körper mein sind? – ich müßte mich denn mit gewissen Verrückten
vergleichen, deren Gehirn ein hartnäckiger melancholischer Dunst so schwächt,
daß sie unbeirrt versichern, sie seien Könige, während sie gänzlich arm sind,
oder sie tragen Purpur, während sie nackt sind, oder sie hätten einen Kopf von
Thon oder seien ganz Kürbisse oder seien aus Glas geblasen. Allein das sind
Wahnsinnige, und ich würde ebenso verrückt erscheinen, wenn ich auf mich
anwenden wollte, was von ihnen gilt.
Trefflich fürwahr! Bin ich denn nicht ein Mensch, der
nachts zu schlafen pflegt und dann alles das, und oft noch viel Unglaublicheres
im Traume erlebt, wie jene im Wachen? Wie oft aber erst glaube ich nachts im
Traume ganz Gewöhnliches zu erleben; ich glaube hier zu sein, den Rock
anzuhaben und am Ofen zu sitzen – und dabei liege ich entkleidet im Bette!
Jetzt aber
schaue ich sicherlich mit ganz wachen Augen auf dies Papier. Dies Haupt, das
ich bewege, ist nicht vom Schlafe befangen. Mit Überlegung und Bewußtsein
strecke ich diese Hand aus und habe Empfindungen dabei. So deutlich würde ich
nichts im Schlafe erleben!
Ja, aber
erinnere ich mich denn nicht, daß ich auch schon von ähnlichen Gedanken in Träumen
getäuscht worden bin? – Während ich aufmerksamer hierüber nachdenke, wird mir
ganz klar, daß ich nie durch sichere Merkmale den Schlaf vom Wachen
unterscheiden kann, und dies macht mich so stutzig, daß ich gerade dadurch fast
in der Meinung bestärkt werde, daß ich schlafe.
Wohlan denn!
Ich schlafe, und unwahr sollen alle jene Einzelheiten sein: daß ich die Augen
öffne, den Kopf bewege, die Hände ausstrecke, ja sogar, daß ich solche Hände,
solch einen Körper habe! Gleichwohl aber müssen wir gestehen, daß uns im
Schlafe gleichsam gewisse Malereien erschienen, die nur nach dem Vorbilde wirklicher
Dinge gebildet werden konnten, und daß darum wenigstens Augen, Kopf, Hände und
der ganze Körper, als Dinge überhaupt nicht in der Einbildung, sondern in
Wirklichkeit existieren. Denn es können ja selbst die Maler nicht einmal dann,
wenn sie Sirenen und Satirisken in den allerungewöhnlichsten Gestalten
darzustellen suchen, diesen in jeder Beziehung neue Eigentümlichkeiten
beilegen; sie verbinden vielmehr lediglich Glieder verschiedener Geschöpfe
beliebig miteinander. Ja, selbst wenn sie sich vielleicht etwas so Neues
ausdenken, daß man überhaupt nie Ähnliches gesehen hat, also
etwas völlig Erdichtetes und Unwirkliches, so müssen doch sicherlich mindestens
die Farben wirklich sein, mit denen sie dasselbe darstellen. Wenngleich daher
auch Augen, Kopf, Hände und ähnliches, selbst als Dinge überhaupt, bloße
Vorstellungen sein könnten, so muß man doch aus ganz demselben Grunde wie oben
anerkennen, daß notwendigerweise wenigstens irgend etwas Anderes noch
Einfacheres und Allgemeineres wirklich sein müsse, aus dem – gleich wie oben
aus den wirklichen Farben – alle jene wahren oder falschen Bilder von Dingen
gebildet werden, die in unserem Denken vorhanden sind. Solcher Art scheinen zu
sein das Wesen des Körpers im allgemeinen und seine Ausdehnung, desgleichen die
Gestalt der ausgedehnten Dinge, ferner die Quantität oder ihre
Größe, und die Zahl; ebenso der Ort, wo sie sind, die Zeit,
während der sie bestehen und Ähnliches.
Somit
könnten wir hieraus wohl nicht mit Unrecht schließen, daß die Physik, die Astronomie,
die Medizin und alle andere Wissenschaften, die von der Betrachtung der
zusammengesetzten Körper abhängen, zwar ungewiß seien, während hingegen die
Arithmetik, Geometrie und andere der Art, die lediglich die einfachsten und
allgemeinsten Dinge behandeln, und sich wenig darum kümmern, ob dieselben in
Wirklichkeit da sind oder nicht, etwas Sicheres und Unzweifelhaftes enthalten;
denn ob ich nun schlafe oder wache: zwei und drei geben zusammen fünf, und das
Quadrat hat nicht mehr als vier Seiten. Es scheint unmöglich, daß so offenbare
Wahrheiten in den Verdacht der Falschheit geraten könnten.
Nun ist aber
doch meinem Geiste eine gewisse althergebrachte Meinung eingeprägt, es gebe
einen Gott, der alles kann; von dem sei ich, so wie ich da bin, geschaffen
worden. Woher aber weiß ich, daß dieser es nicht etwa so eingerichtet hat, daß
es überhaupt gar keine Erde, keinen Himmel, nichts Ausgedehntes, keine Gestalt,
keine Größe, keinen Ort giebt, und daß trotzdem alles dies mir genau so wie jetzt da zu sein scheint? Ja, wäre es nicht sogar möglich, daß ich mich
irre, so oft ich zwei und drei addiere, oder die Seiten des Quadrats zähle oder
bei irgend etwas Anderem, womöglich noch Leichterem? ganz wie meiner Meinung
nach andere bisweilen in Sachen irren, die sie aufs allergenaueste zu kennen
meinen?
Vielleicht
aber hat Gott gar nicht gewollt, daß ich solcher Täuschung anheimfalle! heißt
er doch der Allgütige! – Allein wenn es seiner Güte widerspräche, mich so zu
schaffen, daß ich immer getäuscht werde, so würde es auch mit seiner
Güte unvereinbar scheinen, daß er mich bisweilen in Täuschungen geraten
läßt; und doch ist letzteres unbestreitbar der Fall!
Vielleicht
aber giebt es manche, die lieber einen so mächtigen Gott leugnen, als daß sie
an die Unsicherheit aller anderen Dinge glauben. Wir wollen ihnen hier nicht
entgegentreten und einmal zugeben, alles über Gott Gesagte sei bloße
Erdichtung. Sie mögen nun annehmen, ich sei durch das Schicksal, den Zufall
oder die natürliche Folge der Dinge oder sonstwie das geworden, was ich bin.
Täuschung und Irrtum scheinen ja Unvollkommenheiten zu sein, und so wird es nur
um so wahrscheinlicher sein, daß ich unvollkommen bin, und immer irre, je
weniger jene einen allmächtigen Urheber meines Daseins annehmen. Gegen diese
Gründe habe ich in der That nichts einzuwenden und bin schließlich zu dem
Geständnis gezwungen, daß man an allem, was ich einst für wahr hielt,
zweifeln könne und zwar nicht aus Unbedachtsamkeit und Leichtsinn, sondern
aus triftigen, wohlüberlegten Gründen. Will ich daher etwas Sicheres finden, so
muß ich mich bezüglich alles dessen künftig ebenso sorgfältig der Zustimmung
enthalten, als hätten wir es mit offenbar Falschem zu thun.
Doch es ist nicht genug, dies bloß erkannt zu haben; ich muß es mir auch stets
gegenwärtig zu halten suchen, denn immer wieder kehren die gewohnten Meinungen
zurück und nehmen meinen leichtgläubigen Sinn selbst gegen meinen Willen ein,
als sei er ihnen durch langen Verkehr und das Recht engster Freundschaft
verpflichtet. Ich werde es mir auch nie abgewöhnen, ihnen beizustimmen und zu
vertrauen, so lange ich sie als das hinnehme, was sie in der That sind, nämlich
ein wenig zweifelhaft, wie wir gesehen, aber gleichwohl doch so glaubhaft, daß
es viel vernünftiger ist, ihnen zu trauen, als zu mißtrauen; darum glaube ich
wohl ganz richtig zu verfahren, wenn ich, um gerade das Gegenteil zu erreichen,
mich selbst einer Täuschung hingebe und eine Zeitlang alle jene Meinungen für
ganz falsch und erdichtet annehme, bis schließlich das Gewicht der Vorurteile
beiderseits gleich ist und fürder keine üble Gewohnheit mehr mein Urteil von
der richtigen Auffassung der Dinge ablenkt. Ich weiß, daß daraus inzwischen
keine Gefahr und kein Irrtum entstehen wird und daß ich mich nicht allzusehr
dem Mißtrauen hingeben kann; es handelt sich ja hier für mich nicht um ein
Handeln, sondern nur um ein Erkennen.
Ich will
daher annehmen, daß zwar nicht der allgütige Gott, der die Quelle der
Wahrheit ist, wohl aber irgend ein ebenso böser, wie mächtiger und listiger
Geist all sein Bestreben darauf richtet, mich zu täuschen; ich will glauben, daß der Himmel, die Luft, die Erde, die Farben, die Gestalten, die
Töne und alles außerhalb von uns nur das Spiel der Träume sei, durch die er
meiner Leichtgläubigkeit nachstellt. Mich selbst will ich so ansehen, als hätte
ich keine Hände, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut noch irgend einen Sinn,
sondern glaube dies bloß fälschlicherweise zu haben. Ich will hartnäckig in
dieser Betrachtung verharren, und wenn es dann auch nicht in meiner Macht
steht, etwas Wahres zu erkennen, so will ich wenigstens, soweit es an mir ist,
mit festem Geiste mich vor Irrtum bewahren, und jener Betrüger, sei er noch so
mächtig, noch so listig, er soll keinen Einfluß auf mich bekommen!
Aber dies
Unternehmen ist mühevoll und eine gewisse Trägheit bringt mich zur Gewohnheit
des täglichen Lebens zurück, und gleichwie ein Gefangener, der einmal im
Schlafe eine erträumte Freiheit genoß, das Erwachen fürchtet, wenn er nachher
zu merken beginnt, daß er träumt, und sich durch die schmeichlerischen
Traumbilder noch eine Weile über seine Lage hinwegtäuscht, so kehre ich von
selbst zurück zu den alten Meinungen und fürchte aufzuwachen, damit nicht der
angenehmen Ruhe ein arbeitsvolles Wachen folge, welches fürder nicht in hellem
Lichte, sondern in der undurchdringlichen Finsternis der einmal angeregten
Schwierigkeiten verbracht werden muß.