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Poesie und Begriff, Teil 2

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Martina Hefter
Jan Kuhlbrodt


Poesie und Begriff - Selbstversuch, Teil 2




Lieber Jan,

weiter gehts. Als nächstes habe ich Oswald Eggers Beitrag gelesen. Beim ersten Durchblättern des Buchs war ich sofort auf die Zeichnungen gestoßen und dran hängen geblieben. Dachte dann aber, erst mal einen anderen Aufsatz zu lesen, wäre ratsam, weil dieser hier eine harte Nuss zu werden schien. Es handelt sich um etwas wie sehr genaue Bastelanleitungen, wobei “Basteln” hier zu schwach ist, die Texte klingen beim ersten Lesen eher wie sehr kompetente handwerkliche Anweisungen mit genauen Zentimeterangaben usw. Auch “Anleitungen” ist nicht ganz richtig, denn es handelt sich sozusagen um Beschreibungen dessen, was Egger anscheinend tatsächlich gebastelt hat oder gebastelt zu haben vorgibt. Papierbögen werden an ihren Enden in Streifen geschnitten und diese dann auf unterschiedliche Weisen gefaltet und zusammengeklebt, es entstehen Röhren und Schlaufen. Unterschiedliche Falz und Schneideweisen stehen unter Überschriften wie: “Strich und Faden”, “Rand und Band”, oder “Die Runde gehen: Vier Schnitte”. Das hat vielleicht damit zu tun, dass man an einem Thema wie “Poesie und Begriff” nur rumbasteln kann? Dass es FalzSchneideKlebearbeiten sind, die so öde wie fesselnd sind? So, wie man Fröbelsterne faltet, es ist eigentlich grauenvoll, aber man ist doch gefangen und begeistert von dieser ganzen Genauigkeit.

Ich drücke es hier viel zu ungenau aus, im Text ist das Vorgehen derart genau und detailliert beschrieben, dass man es nicht nochmal so wiedergeben kann. Oder nein, wie es dort steht, ist es eigentlich schon mehr als genau. Und man merkt nach und nach, da sind viele merkwürdige Wörter, die wie Fachsprache aussehen sollen: “Die verbückten Falze verknicken”, “einen Fingerstrikten Cut”, “Verzopfen der Fitzen zu Litzen”. Das ist ein bißchen unheimlich, aber wenn man über den Schrecken weggekommen ist, auch sehr lustig. Das Ganze ist völlig ernst gemeint, wie es zugleich nicht ernst gemeint ist, das gefällt mir wahnsinnig gut. Ich weiß überhaupt nicht, was das soll, und weiß es doch ganz genau. Das ist in etwa das, was ich auch meine, dass es das ist, von dem ich nicht weiß, was “Begriff” ist. Und was Poesie und Begriff zusammen sein sollen, oder eben, siehe Monika Rinck, nebeneinander gehalten, sein sollen.

Eggers Aufsatz ist mein liebster im Buch, ich hatte große Lust, die Faltereien Schritt für Schritt mitzumachen, während ich lese. Und das trifft damit irgendwie in den Kern dessen, was ich oben schon sagte: dass ich die Texte nur im Lesen verstehe.


Liebe Martina

Ja. Vielmehr kann ich zu dem was du sagst nicht sagen. Ich denke, hier wiederholt sich eine prinzipielle Offenheit. Folgt man der Anleitung, erreicht man etwas, das einfach in seinem Dasein seine Bestimmung hat. Will man es beschreiben, muss man die Anleitung wiederholen. Poiesis. Es ist sein eigener Inhalt. Das Gegenteil eines Begriffes im Grunde. Das Ganze aber, Anleitung und Produkt zugleich ist der Begriff.


Lieber Jan,

genau so meinte ich das, danke! Fast so, als hättest du, vielleicht mittels Telepathie, genau das aufgeschrieben, was ich nur schwammig denken, oder nicht mal denken konnte.


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(Armen Avanessian, Anke Hennig, Steffen Popp:) Poesie und Begriff. Positionen zeitgenössischer Dichtung. Mit Beiträgen von Ann Cotten, Franz Josef Czernin, Oswald Egger, Elke Erb, Daniel Falb, Steffen Popp, Monika Rinck und Ulf Stolterfoht. Zürich (diaphanes Verlag) 2014. 198 Seiten. 24,95 Euro.


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