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Philippe Descola: Die Formen des Sichtbaren

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Jan Kuhlbrodt

Philippe Descola: Die Formen des Sichtbaren. Eine Anthropologie der Bilder. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2023. 783 Seiten. 68,00 Euro.

Zu Philippe Descola
Die Formen des Sichtbaren. Eine Anthropologie der Bilder


Dass die Welt alles sei, was der Fall ist, behauptet Wittgenstein. Aber wir begreifen die Welt mithilfe tradierter Kategorien, und diese verstellen zuweilen die Sicht. Die Korrektur der Welt muss also immer auch mit einer Korrektur des eigenen Weltbildes einhergehen.

Philippe Descola ist ein Schüler von Claude Lévi-Strauss, dessen strukturale ethnografische Untersuchung dem europäischen imperialen Zugriff europäischer Wissenschaft, der letztlich auch das europäische Selbstbild speiste, das Denken einer Gesamtheit konkreter Gruppen entgegensetzte. Dies brachte und bringt letztlich zumindest theoretisch den in Europa tradierten Fortschrittsgedanken ins Wanken, dem ein Bild von Entwicklung korrespondiert, das eben jene Gruppen bewusst und offen, oder auch verdeckt, als Europäisierung der Welt verstehen. Zumindest stellt es diesen Fortschritt zur Disposition.

Angesichts der gegenwärtigen ökonomischen und ökologischen Krisen, die auch kulturelle sind, und vor allem der Klimakrise, stellt sich dieser der kapitalistischen Wirtschaftsweise korrespondierende Fortschritt mehr und mehr als Desaster heraus. Darüber hinaus führte und führt diese Kapitalisierung der Welt auch zu einer Homogenisierung der gesellschaftlich geltenden Ansichten dessen, was als Kunst zu gelten habe. Schon im vor über zehn Jahren auf Deutsch erschienenen Buch „Jenseits von Natur und Kultur“ setzt Descola der im westlichen Denken tradierten Trennung von Natur und Kultur andere Kosmologien entgegen, die er bei sogenannten Naturvölkern beobachtete.

(Schon die Bezeichnung „Naturvölker“ geht natürlich fehl, und dass ich sie hier benutze, ist natürlich meiner eigenen westlichen Unbedarftheit und der damit verbundenen Hilflosigkeit geschul-det. Aber eben das treibt mich auch dazu, Bücher wie dieses zu lesen. Und ich lese es mit Gewinn und ein wenig auch mit Scham, weil ich merke, wie sehr sich das, was mir einmal als Erkenntnis galt, sich in meinem Kopf zuweilen zum Dogma verfestigt.)

Was also ist Kunst? Schon die Frage muss ich, will ich eine brauchbare Antwort erhalten, umformulieren. Was also gilt unter welchen kulturellen und ökonomischen Umständen als Kunst.
       Descola sucht keine definitorische Antwort auf diese Frage. Er ist kein Kantianer, der in einem Königsberg das Innerste seiner Gedanken nach außen stülpt.

Angesichts eines umfangreichen Materials, dass er auf eigenen Reisen und durch eigene Beobachtungen zusammengetragen hat, aber auch angesichts der Auswertung und kritischen Durchsicht eines Gebirges von ethnografischer Literatur macht Descola vier grundlegende Typen oder Modelle von Bildontologien aus: Animismus, Totemismus, Analogismus und Naturalismus. Dass Naturalismus auf die westliche Sichtweise abhebt, hat mich nur am Anfang irritiert. Jedem dieser Modelle ist in diesem Buch ein Teil gewidmet, auch die Korrespondenzen kommen zum Tragen.

In der Einleitung schreibt Descola:

„Dieses Buch vertritt die These, dass solche ontologischen, auf die Skala von Ähnlichkeiten und Unterschieden in Bezug auf Interiorität und Physikalität zurückgehenden Untersuchungskriterien sich auch in der Figuration der Stellen wiederfinden müssen, an denen die Elemente der Welt eine Verbindung eingehen. Es ist also damit zu rechnen, dass die Figurationsmodi sich vorrangig dadurch voneinander unterscheiden, dass sie diesen Gegensatz nutzen und die Kombinationen, die er gestattet, durch Formen, Striche und Farben wahrnehmbar machen.“

Das klingt natürlich zunächst einmal sehr abstrakt und theoretisch. Es wäre jedoch unsinnig einem Wissenschaftsbuch vorzuwerfen, dass es sich einer Wissenschaftssprache bedient. Aber das Buch bietet jede Menge grandios aufgearbeitetes bildliches Material. Für mich als daheim Gebliebenen eine Möglichkeit, zu reisen und zu lernen.


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