Direkt zum Seiteninhalt

Philipp Létranger: zwischen die kriege geworfen

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Holger Benkel

Philipp Létranger: zwischen die kriege geworfen. Dortmund (edition offenes feld) 2022/23.
112 Seiten. 21,50 Euro.

Erinnerung an innige Momente oder zwischen Ich und Du, Krieg und
Frieden


Den knappen, präzisen, leisen, behutsamen und unaufdringlichen Gedichten von Philipp Létranger, der in München lebt, merkt man Lebenserfahrung an, so als hätte er schon jahrzehntelang Gedichte veröffentlicht. Je mehr man sieht und weiß, umso einfacher schreibt man meist, und auch das Lesen wird dann leichter. Der Name Létranger, der auf den Roman »Der Fremde« von Albert Camus zurückgeht, meint hier Gefühle, häufig vage, der Fremdheit und Distanz der Wirklichkeit gegenüber.

Der Lyriker schreibt von Lebensfrüchten und Traumtagen. »wenn die tage reif sind / lese ich die früchte aus sonnigen tagen / in weite körbe«, heißt es in »oktober«. Vielfach spricht er ein Du in innigen partnerschaftlichen Momenten an. Das Gedicht »juli« beginnt mit: »blicke senken sich / und weiden sich auf der haut / ich flechte dir ein band aus hellen stunden um den hals «. Mitunter kann das Du auch das lyrische Ich sein, das sich so im Dialog mit dem Blick von außen erkundet, wie in »brache«: »nur selten erinnerst du dich an die tage / als das netz der worte / dicht geknüpft die träume fing.« oder »vom glück«.

Manche Texte trauern und nehmen melancholisch Abschied. Das Gedicht »vom glück« endet mit »wenn du einmal ausgezogen sein wirst / aus deiner zukunft, / und die türen zu / geschlagen sind zur vergangenheit, / die leere eingezogen, / dann schau, wer spricht vom glück?«. Im Leben entspricht die Stärke der Schmerzen häufig der Intensität der Hoffnungen, Erwartungen und Verheißungen, die man hat oder hatte. Man erkennt dann, vieles ist umso schöner, je weniger es der Mensch unbedingt braucht.
Im Zyklus »Gespräche mit den fünf Elementen« schreibt er über Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. »erde«, an die Mutter gerichtet, endet mit »fürchte nicht den kalten wind der zeiten / sagst du leise // deine wurzeln sind tief / und halten dich fest / bis an dein ende / in mir«. Metalle werden dem Körper der Erde, Embryos oder Herzen gleich, von Menschen zum profanen Gebrauch entrissen, um sie in Produkte, Geld und Gewinn zu verwandeln. Dichter der deutschen Romantik, die den Erdinnenraum symbolisch als einen Seelenraum sahen, verbanden dieses Motiv mit dem des kalten Herzens. Das Gedicht »feuer« ist ein Partner-gedicht. Doch bei Feuer bleibt Vorsicht geboten. Denn züngelnde Flammen können die Form der Hörner des Teufels annehmen.
Im Gedicht »gift« lesen wir: »das wort ist ein brüchiges Gefäß / für die Fragen der Zeit«, in »sprachlos«: »schatten schlüpfen / in die falten der lichter // leben unter die haut geritzt / von den scherben der träume / im narbigen gewebe / nie verheilt«. Das gemahnt an die zerbrochenen Gefäße der »Kabbala«, die den gewaltigen Lichtstrom nicht fassen, zerbrechen und in den Abgrund fallen, was als Symbol für den Einzug des Bösen in die ins Ungleich-gewicht geratene Welt gedeutet wird.

Einige Gedichte beziehen sich auf den Ukraine-Krieg: »in diesen tagen sehe ich nach dem osten / und rufe das licht / doch das echo kehrt blutbefleckt zurück«.

Der Buchtitel »zwischen die kriege geworfen« lässt mich an das Buch »Verhaltenslehren der Kälte – Lebensversuche zwischen den Kriegen« von Helmut Lethen denken, worin der Kulturwissenschaftler Denk- und Verhaltensweisen zwischen erstem und zweitem Weltkrieg beschreibt. Über Vorfahren, die selbst Kriege erlebten, schreibt Létranger in »nachkommen«: »die lebten / haben sich ans Leben geklammert und wollten nicht wissen / was fehlte«, also haben sie ertragen und verdrängt.

Der kalte Krieg, der nun aufs Neue zu beginnen scheint, war keine kriegsfreie Zeit. Denn Kriege können, vor allem unbewusst durch Traumatisierungen, über Generationen weitergereicht werden. Sie fanden bloß anderswo statt. Aktuell erleben wir die Zunahme stereotyper, einseitiger und grober Denkweisen mit entsprechenden Ressentiments, die nie verschwunden waren und die Denkatmosphäre vergiften. Theodor W. Adorno dokumentierte in seinem sozialpsychologischen Buch »Studien zum autoritären Charakter, das 1949 erschien, siehe auch Elias Canettis »Masse und Macht«, wie Entweder/Oder-Raster, Vorurteile und Intoleranzen in Feindbilder, Verachtung und Hass übergehen und tödliche Gewalt verursachen. Die (vor)herrschende, öffentliche Meinung, die nur nach Freund und Feind, Gut und Böse sortiert – und man sieht weltweit solche Muster – kann ebenfalls Gewalt legitimieren. Auch Demokratien können, wie wir derzeit sehen, von autoritären Weltbildern und Strukturen unterwandert und sogar regiert werden.

Jeweils am Anfang der neun Kapitel des Buches stehen Farbcollagen von Eleonore Gleich aus Regensburg, die auch auf Destruktionen hinweisen, so auf Seite 75 und 99.


Zurück zum Seiteninhalt