Philip Lamantia: Zerstörte Werke
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Samuel Meister
Philip Lamantia; Zerstörte Werke. Englisch / Deutsch. Aus
dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Marcus Roloff. Wenzendorf (Stadtlichter
Presse – Heartbeat #34) 2021. 124 Seiten. 16,00 Euro.
Californian Rimbaud - Zu Philip Lamantias Destroyed Works
Als
ich in der Frankenallee auf einer Bank saß und Lamantia las, sprach mich ein
Franzose an – was ich denn da lese. „Kalifornische Gedichte. – Wie Ginsberg
oder Burroughs?“ Womit die x-Achse zur Auffindung des unbekannten berühmten Poeten
auf Anhieb bestimmt war. Nun warte ich noch auf das Erlebnis zur Bestimmung der
y-Achse: Wie ich im Main nach Quagga-Muscheln tauche, taucht André Breton auf und
ruft (Klappentext): „Eine Stimme, die nur einmal in hundert Jahren ertönt!".
Denn so wird Philip Lamantia jeweils vermarktet, wenn er auf den Markt kommt: als
Beatnik-Surrealist. Dieses Label ist verführerisch, auch wenn es das Individuum
eher zu- als aufdeckt. Jedenfalls hat nun Marcus Roloff den Band Destroyed
Works übersetzt, was mich freut, da Lamantia zwischen Kiel und Zermatt kaum
gelesen wird.
Destroyed Works (1962) besteht aus Oden an alles, das im Verdacht des Göttlichen,
das heißt Teuflischen steht („Come up from dead things, anus of the sun!“, s.
8). Lamantia schleudert die Ausrufezeichen wild um sich, doch nicht wahllos,
sondern gezielt auf die Vertreter des Grässlich-Erhabenen. Vor Blut, Tod,
Drogen soll man sich kaum retten können, da man sich vor ihnen nicht retten
kann, aber auch nicht vor der Lebensfreude, die explodiert und in Bildern
niederprasselt. So suhlt sich die Bejahung in der Verneinung: „NO! you can’t
touch bleeding pyromantic LOVE! BREAKUP
SADISTIC PYRES GLOW / NO! I/yes/we make love like manylegged poems / I give you
the mirror to crumble by” (Crab, s. 96). Unter den vier Teilen des
Bandes heißt der besinnlichste “Still Poems“ (bei Roloff „Gedichte, noch“, aber
wohl auch in Analogie zu „still lifes“ oder „film stills“ zu verstehen): „This
silence doors shut against animals, spirits, / naked women over rooftops
tearing down twenty pieces of ham / this will never be admitted to public
record / policemen imbedded under phantom rails” (Vacuous Suburbs, s.
74). Aus
der Geschwindigkeit, mit der nach Umbruch einer Zeile der Raum der Stille zerbricht,
kann man auf den anderwärtigen Lärm schließen.
Lamantias
Stimme findet in der Apokalypse zu sich, wo uns aus der Zerstörung die Freiheit
blüht: „I want / my madmen promulgated like atom bombs / hot coffee for the
dead!“ (The Apocalyptic, s. 52). Er schickt seine Wahnsinnigen als
Apostel grandioser Vernichtung in die Welt – und zugleich als Kaffee für Tote.
Der Wirkung wird also schon ihre Wirkungslosigkeit mit auf den Weg gegeben. Diese
Apokalyptik ist ein Verfahren, das zur Explosion der eigenen Sprachwelt führen
mag, aber von der Außenwelt oder der Welt jenseits der Trabanten nicht wahr-genommen
wird, da ihr die Sinne fehlen. Sie ist nicht einmal für Kaffee empfänglich,
geschweige denn für Atombomben. Die Wahnsinnigen (die Gedichte?) treiben das
Rad der Innenwelt an, fürs Verhältnis zum Äußeren bleibt der Humor. Oder: Die starre
Außenwelt und ihre Sprache werden traktiert, bis sie gespalten zum Brennstoff
der Selbstdarstellung werden.

Der
Titel, „Zerstörte Werke“, bezieht sich auf unveröffentlichte Gedichte, die
Lamantia nach seinen frühen Erotic Poems (1946) schrieb und später
verbrannte, nicht samt und sonders, sondern nachdem er u.a. fünfundzwanzig
Texte im Destroyed Works Typescript versammelt hatte, von denen jedoch
keiner im Band Destroyed Works enthalten ist. Zum Zeitpunkt der
Ver-öffentlichung hatte Lamantia zwischen Mexiko und New York auf allen Wegen
nach der Ekstase gesucht, was sich auch im Titel seines zweiten Gedichtbandes
niederschlägt (Ekstasis, 1959), in Religionen, im Heroin – der erste
Teil der Destroyed Works heißt „Hypodermic Light“ – und natürlich in der
Literatur. Bereits in den Vierzigern war er André Breton und Künstlern wie Kurt
Seligmann begegnet, schon als Teenager hatte er in der surrealistischen
Zeitschrift VVV veröffentlicht. In Roloffs Nachwort und der Einführung
in den von Caples, Joron und Peters herausgegebenen Collected Poems (Berkeley
2013) wird Lamantias Leben – das Verhältnis zum Katholizismus, sein Leiden an
einer manischen Depression – geschildert. Hier möchte ich diese Informationen
im Hintergrund stehen lassen; jede Leserin der Gedichte muss für sich
entscheiden, inwiefern sie auf Lamantias Biografie rekurrieren möchte.
Hier
noch einmal der ganze sechste Teil des siebenteiligen Gedichts The
Apocalyptic:
Sick of you, owl, talking nonsense in my head. I’m going to
slug
you with a foot of matted hair and a rusted firing pin from
Medusa’s
conch. No more paleolithic new world postures! I want
my
madmen promulgated like atom bombs
hot
coffee for the dead!
Das
Dickicht der Bilder widersetzt sich dem Beerenkamm der Interpretation. Die Eule
mag für die verstrubbelte Weisheit stehen, deren Ruf nach einer „neuen Welt“,
einem „gelobten Land“, wie die USA noch von Präsidenten genannt werden, selbst
steinzeitlich ist. Diese Weisheit mag mithilfe eines Panfußes („a foot of
matted hair“) und – in der Manier antiker Cowboy-Mythologie –eines Zündstifts
aus dem Schneckenhorn („conch“) der Medusa, also mithilfe des Unbe-rechenbaren zerquetscht
(„slugged“) werden. Aber zuletzt handelt es sich um eine Eule, keine Allegorie,
und das Gedicht schöpft Kraft aus dem Zusammenprall der konkreten Bilder. Vermutlich
ist Lamantias Lyrik insgesamt eine Lyrik der Bilder, nicht der Gedanken und
wohl auch nur zweitrangig eine Lyrik der Sprache. Die Sprache bringt die Bilder
zum Klingen, aber die Bilder genügen sich selbst, auch wenn sie auf Gedanken
deuten.
Zur
Illustration (oder Widerlegung) dieser Lesart, die erste Strophe von The
Apocalyptic, fast kommentarlos (s. 42):
The gods made a circle crying “Hellas! Hellas! beauty cometh
out
of ancient Greece Hellas! Hellas!” Their hair is silver and
their
voices are honeyed! Tormented, I turned into a
ball of spirit
sperm
going full blast thru air which is
decayed satan power!
Holiness,
mirror of demonic beauty, where is the image of holiness.
Nur
eine Anmerkung: Das dreifach kursiv gehaltene „is“ und „are“ legt nahe, dass
die Bilder wirklich sind. Die Haare der Götter sind wirklich silbern usw. – die
Bilder stehen für sich uns gegenüber, nicht als Verweis auf etwas anderes, sie
gehen uns konkret etwas an.
Die
Bildsprache lässt sich gut wörtlich übertragen, wie es Roloff zu recht tut. Die
eben zitierte Strophe übersetzt er auf diese Weise (s. 43):
Die Götter standen im Kreis,
riefen „Hellas! Hellas! Das Schöne kommt
aus dem alten
Griechenland Hellas! Hellas!“ Ihr Haar ist silbern und
ihre Stimmen sind
honigsüß! Gequält wurde ich eine Seelenspermakugel,
die durch die Luft
flog, das ist die morsche Macht Satans! Heiligkeit,
Spiegel
dämonischer Schönheit, wo ist das Abbild der Heiligkeit?
Schwieriger
als die Bilder ist ihre gehetzte Abfolge einzufangen. Lamantias Englisch ist in
den Übergängen federnd, schnell, direkt, was den Bildern selbst den Effekt der
Plötzlichkeit verschafft. Die Eule wurde so eingeführt: „Sick of you,
owl, talking nonsense in my head”. Es sollte noch kein „ich“ im Text erscheinen, da sich Lamantia das
„I“ für den nächsten Satz aufhebt. Auch ist das
Umgangssprachliche von „to be sick of something” ebenso wichtig wie die wörtliche Anspielung auf die Krankheit – und dazu kommt
noch das an „owl“ unmittelbar anschließende „talking“. Roloff versucht all das wie
folgt zu lösen: „Machst mich krank, Eule, redest mir dummes Zeug ein“ (s. 53). Das
Tempo, die Geschmeidigkeit des Originals gibt dieser Satz aber nicht wieder. Vielleicht
ließe sich eine bessere Übersetzung finden (ich bin gescheitert), aber
wesentlich ist, was diese Schwierigkeiten über Lamantias Stil aussagen.
Wie
hilfreich ist denn nun das Label „Beatnik-Surrealist“? Man könnte sagen, dass
der Klang dem entspricht, was mit den Beatniks in Verbindung gebracht wird,
während der Bilderfuror an den Surrealismus erinnert. Für mich ist aber ein
anderer, wenn auch ebenso oft bemühter Vergleich aufschlussreicher: derjenige
mit Rimbaud. Lamantias Gedichte lesen sich nicht wie die Texte eines Epigonen
des Surrealismus, sondern wie ein Impuls für eine zukünftige Kunst. Zudem hat
er mit Rimbaud den Grundzug seiner Poesie gemein: die Brutalität. Der Rhythmus
dieser Gedichte ist der Rhythmus eines Rammbocks, der gegen das Tor stößt, bis
es birst. In welche Seelenburg Lamantia dabei eindringt, lässt sich nicht
eindeutig bestimmen.