Petr Ligocký: Ictus I - IV
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Foto: Adéla Opartyová
Petr
Ligocký
Viermal Ictus
aus dem Tschechischen von Patrik Valouch
Ictus I
wie aus heiterem himmel
klingelte das telefon und
ich hörte meine mutter weinen
die sich stockend
abmühte
etwas rauszupressen
Wir wurden gewaltsam durchrüttelt
wie von einem muskulösen rausschmeißerarm
während du teilnahmslos dalagst
wie durchgewalkte weiße bettwäsche
klingelte das telefon und
ich hörte meine mutter weinen
die sich stockend
abmühte
etwas rauszupressen
Wir wurden gewaltsam durchrüttelt
wie von einem muskulösen rausschmeißerarm
während du teilnahmslos dalagst
wie durchgewalkte weiße bettwäsche
Ictus II
du hast immer so gelebt
wie du es dir dein ganzes leben lang gewünscht hast
nach hause brachtest du familiäre gemütlichkeit
und all dein ehrlich erarbeitetes geld
erinnertest dich an alle geburtstage
selbst an die unbedeutendsten jubiläen
du warst uns ein vorbild der bescheidenheit
und die verkörperung von gemütlichkeit
regtest dich nie über etwas auf
und hast auch nie deine stimme gegen jemanden erhoben
mit dem gesichtsausdruck eines weisen stoikers
wiederholtest du uns unzählige male dass
man nur durch geduld rosen ernten könne
doch nun ist von deiner geduld nichts mehr übrig
selbst ein gelöster schnürsenkel treibt dich zur weißglut
wie du es dir dein ganzes leben lang gewünscht hast
nach hause brachtest du familiäre gemütlichkeit
und all dein ehrlich erarbeitetes geld
erinnertest dich an alle geburtstage
selbst an die unbedeutendsten jubiläen
du warst uns ein vorbild der bescheidenheit
und die verkörperung von gemütlichkeit
regtest dich nie über etwas auf
und hast auch nie deine stimme gegen jemanden erhoben
mit dem gesichtsausdruck eines weisen stoikers
wiederholtest du uns unzählige male dass
man nur durch geduld rosen ernten könne
doch nun ist von deiner geduld nichts mehr übrig
selbst ein gelöster schnürsenkel treibt dich zur weißglut
Ictus III
jeden tag
wartest du auf mich gespannt
eingesperrt in den vier wänden
deines schmerzes
ich lass dich aus ihnen jedoch nicht länger raus
als für ein paar minuten
wartest du auf mich gespannt
eingesperrt in den vier wänden
deines schmerzes
ich lass dich aus ihnen jedoch nicht länger raus
als für ein paar minuten
Ictus IV
nebenan in der küche
liegt mein alternder halbgelähmter vater
eine sich nicht mehr rührende achtzigjährige puppe
mit fingern die verflochten sind
wie weihnachtsstriezel
und augen die ganz und gar
mit dem fernseher verwachsen sind
liegt mein alternder halbgelähmter vater
eine sich nicht mehr rührende achtzigjährige puppe
mit fingern die verflochten sind
wie weihnachtsstriezel
und augen die ganz und gar
mit dem fernseher verwachsen sind
Petr
Ligocký (*1990) ist ein tschechischer Lyriker und
einer der wichtigen Übersetzer und Vermittler polnischer Dichtung. Zusammen mit
dem Lyriker und Literaturwissenschaftler Roman Polách (*1986) ist er eine der
jüngeren und originellen Stimmen der Ostrauer Lyrikszene. In seinem Debütband „Diagnóza“
(„Diagnose“, Protimluv 2020) erkundet er die Fragilität und Wandelbarkeit
zwischenmenschlicher Beziehungen und (dysfunktionaler) Körper und lauscht den
zarten Zwischentönen der (tristen und zunehmend dehumani-sierenden) Maschinerie
des Alltags.
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