Peter Sipos: Klumpen 2
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Florian Birnmeyer
Peter Sipos: Klumpen 2.
Gedichte, Gebete, Gespräche. Berlin (Gans Verlag) 2024. 132 Seiten. 20,00 Euro.
Der Klumpen als lyrische
Masse: Peter Sipos' "Klumpen 2"
Die Fortsetzung seines 2023
erschienenen Debüts legt Peter Sipos mit "Klumpen 2 – Gedichte Gebete
Gespräche" vor. Bereits der Titel verweist auf eine zentrale Chiffre:
Klumpen, laut Grimms Deutschem Wörterbuch auch klompen oder clumpen, bezeichnet
eine formlose Masse, die sich ballt, zusammenschiebt. Sipos nimmt diesen
Begriff ernst – formal und inhaltlich. Seine lyrische Sammlung ist ein
Konglomerat unterschiedlichster Gattungen: Prosagedichte, Gebete, Gespräche.
Die Disparatheit formt sich unter seinen Händen zu eben jenem Klumpen, den das
Titelbild zeigt – schwer, moosbewachsen, steinern.
Die Variatio
beherrscht Sipos meisterhaft. Alles scheint mit allem in Kontakt treten zu
können. Drei Abschnitte gliedern Klumpen 2: Da sein im Dasein, Allein
/ Alleins und Das Ich im Du. Abgesetzt durch schwarze Seiten mit
weißer Überschrift, strukturiert dies den Klumpen, ohne ihn zu zerteilen.
Bereits der schwer zu durchblickende Prolog, unterzeichnet mit "peter
sitpsf, 2024 so.w", legt den Ton fest: eine lyrische Prosa, die ins
Mythische streift. Hierin ist die Welt selbst Klumpen: unbewegt, rau, unfassbar.
Doch bei Sipos gibt es auch die Helligkeit, das Heitere, die Freude in der
Natur und im Glauben.
Als zentrales Motiv ziehen
Vögel durch das Buch. Aaskrähen, Möwen, Raben – sie bevölkern die Verse, werden
Sinnbild für Freiheit und Ungebundenheit, für eine Beweglichkeit, die auch das
lyrische Ich faszinieren:
geht die sonne auf im märzund haben alle raben frühlingstauim schnabel und die würmerfrühlingstau durch den sie kriechentrage ich die socken umgekehrtund bin ganz unbeschwert
Unter der Oberfläche der
Gedichte im ersten Kapitel sind dramaturgische Anweisungen notiert, fast
übersehbar am Seitenrand: "gesprochen mit schwankendem oberkörper gegen
einen baum gelehnt" oder "gesprochen in bedrängnis, die seele hängt
am leib, wie frucht am baum". Es sind Hinweise, die die Gedichte in eine
performative Dimension überführen. Auch biblisch-christliche Referenzen
durchziehen den Band: Dasein, das Ich im Verhältnis zum Du, zum Transzendenten.
In "Ich bin allein"
kulminiert dies in einer minimalistischen Reflexion:
ich bin alleinallein bin ichund ich bin neinnein bin ichund du bist neinnein bist dudu bist alleinallein bist duund wir sind dada sind wirund wir sind neinwären wir jawürden wirzusammen sein

Die Möglichkeit des
"Ja" bleibt eine Hypothese. Zwischen existenzieller Melancholie und
spiritueller Suche bewegen sich die Gebete des zweiten Teils. Nicht nur Gott,
auch Jesus, Vögel, die Natur werden angerufen – und stets bleibt offen, ob die
angerufene Instanz antwortet:
wie kraniche im herbstdurchquere icham abendmüde meinen weiten himmelwenn ich nicht schlafen kanntönt mein klagen innerlichwie vogelrufein der stillegottes gegenwart
Nicht jedes Gedicht
überzeugt. Stellenweise kippt die Lyrik ins Überhöhte, Anbetende, wirkt
untergeben. Doch dort, wo Sipos Natur und gemäßigte Spiritualität miteinander
verwebt, entfaltet sich seine Ausdruckskraft. Es ist denkbar, dass eine
persönliche Krise, eine überwundene Krankheit auch biografisch hinter dieser
Haltung steht:
hirnblut auf der zungeüberwundenes leidmeine zersplitterte psychedas ich sprechewundersamer tag des heilshinter der stirn die offenewunde getragen im geistatme ein hauch christider die welt erlöst
Der dritte Teil bietet
Gespräche zwischen Sipos und anderen – Moritz Schlenstedt, Eva Burmeister,
Alina Sauernheimer. Unterschiedliche Schriftweisen heben Stimmen hervor,
reflektieren über die vorangegangenen Texte. Vorangestellt ist eine
kontemplative Übung, die den Band als Grenzgänger zwischen Gebetsbuch,
lyrischem Werk und Achtsamkeitslektüre positioniert:
Atem: Immer da, Odem allen Lebens, Hauch allen Lebens, das Leben selbst ist Atem. Nie zu viel oder zu wenig Luft, der Körper atmet von alleine / lässt sich vertiefen. Atem auch als Rhythmus für ein Mantra gebrauchbar.Herz: Den Herzschlag spüren ohne hinzufassen. Lebendigkeit in sich spüren oder als Rhythmus für ein Mantra nutzen.
Sipos gelingt es, ein
poetologisches Geflecht zu knüpfen, das Spiritualität und postmoderne
Weltwahrnehmung miteinander verbindet. Dieser Klumpen, diese lyrische,
spirituelle Masse, ist zugleich Zeugnis persönlicher Suche und postreligiösen
Empfindens. Ein Werk, das seine disparate Form ernst nimmt und darin
geschlossen wirkt.