Direkt zum Seiteninhalt

Peter Sipos: Klumpen 1

Rezensionen/Lesetipp > Rückschau

0
Florian Birnmeyer

Peter Sipos: Klumpen. Poetologie als Selbstbefragung


Peter Sipos, 1998 in Bayern geboren, tritt mit Klumpen (Gans Verlag, 2023) als eine der markanteren Stimmen einer jüngeren Lyrikszene hervor, die das Verhältnis von Innerlichkeit, Religion und Sprache neu vermisst. Mit Klumpen (Gans Verlag) legt er einen Gedichtband vor, der gefolgt wurde von Klumpen 2 (Gans Verlag, 2024) und im Oktober 2025 Klumpen 3. Es scheint also, der Zyklus wird im jährlichen Abstand erweitert. Der Untertitel des ersten Bandes, „Gedichte und Poetologie“, verweist auf eine doppelte Ausrichtung.

Das rosafarbene Cover mit violetter Kleinbuchstaben-Typografie des ersten Bandes deutet das poetische Verfahren bereits an: feine Ironie, textuelle Überlagerung, formale Versuche mit eigener ästhetischer Zielsetzung. Das Visuelle ist dabei kein bloßes Beiwerk, sondern Teil jenes Ich-Netzes, das im Band, insbesondere in der Poetologie, benannt wird und zum Motiv avanciert.

Der Band gliedert sich in vier Kapitel:

1.      (Skizzen) Klumpen
2.      (Nachtgesang) Schsch
3.      (Collage) Klagen
4.      (Poetologie) Das Ichnetz

Mehr noch als im zweiten Band öffnet sich Klumpen für eine Dichtung, die das Persönliche und Spirituell-Religiöse ins Zentrum rückt – eine Hinwendung zur Innerlichkeit. Die Gedichte schaffen eine Nähe, die nicht naiv wirkt, sondern poetisch reflektiert ist. Wer hier mangelnde Distanz oder fehlende Literarizität vermutet, verkennt den literarischen Anspruch der lyrischen Sprache und die durchweg souveräne formale Gestaltung. Sipos überführt das Persönliche in eine poetische Form, die es zugleich befragt und über sich hinaushebt.

Bereits das erste Kapitel enthält Formen von Gebet, wobei das lyrische Ich sich selbst als eine Form von Prophet oder Seher sieht, der durch seine Dichtung zu wirken beginnt:

ich bin ein prophet obwohl niemand einen propheten gesehen hat bin ich ein prophet
und die leute sehen mich und sehen keinen propheten aber ich bin ein prophet

Es gibt einige formale Verfahren, die sich wiederholen: Kleinschreibung, Reihung, versetzte Verssetzungen, teils aber auch der Wechsel zwischen groß und klein gesetzten Versen. Der Gedichtband bewegt sich damit zwischen Flüstern und Schreien. Das wichtigste Thema des Bandes ist zweifelsohne die Krankheit. Im Abschnitt „Schsch“ wird sie als entscheidender Erfahrungsraum gefasst, aus dem sich Sprache erst fragmentarisch wieder herausarbeitet:

ich krank
wie krank
bin krank
wie mein körper
heilung findet woanders statt
heilung
ich bin ungeheilt

Hier entsteht eine Poetik des Leidens, in der sich die Brüche des Körpers in der Sprache spiegeln. Besonders im dritten Abschnitt, „Klagen“, verdichtet sich diese Haltung durch ein typografisches Verfahren: Ein grauer Hintergrundtext legt sich flächig über die Seite, darüber der eigentliche Gedichttext in schwarzer Schrift. Das „Ichnetz“ zeigt sich hier als Struktur, als visuelle Überlagerung. So entsteht ein Wahrnehmungsraum zwischen Bild und Sprache, der sich der klaren Festsetzung entzieht und vielmehr als Erfahrung lesbar wird.

wie licht
mein auge
ich lache
ich möchte weinen
unendlich
vernetzung des gehirns
ich lasse mich fallen
jahrelang
ich hasse mich
wie einen kranken
gestern nacht
fiel ein mond
neben mich

Die abschließende Poetologie (Das Ichnetz) spiegelt die zuvor vermittelte Haltung in essayistischer Form. Sipos tritt hier als „armer Landmann ohne jegliches Wissen“ auf. Schreiben sieht Sipos als den Ausdruck von Wahrheit durch den Wechsel zwischen Schreiben und Denken. Allerdings könne man im Schreiben nie die gesamte Wahrheit ausdrücken, da kein Mensch über die komplette Wahrheit verfüge. Für Sipos ist Schreiben vor allem eine Geste, ein Ausführen von Tippbewegungen, von Handgesten, bei denen sich das Denken in den Fingern und Muskeln manifestiert und in Buchstaben überführt wird.

Auch der Witz darf in Sipos’ schreiben über all das Leid und die Körpererfahrung nicht vergessen werden. Allein Titel wie „(Nachtgesang) Schsch“ oder „(Skizzen) Klumpen“ und auch der titelgebende Name für den Zyklus Klumpen zeigen, dass der Autor spielerisch mit tradierten Gattungen, literarischen Systemen und Normen umgeht und diese in seinem Sinne umdeutet, stets mit einer Prise Salz.

Die Poetologie liest sich wie ein Gegenentwurf zum akademisch abgesicherten Selbst-verständnis poetischen Sprechens: weniger Theorie als Versuch, sich dem eigenen Schreiben zu nähern. So lässt sich Klumpen auch als ein Band lesen, der das Ich nicht erhebt, sondern befragt und in ein Geflecht aus Text, Körper und Geist überführt.


Peter Sipos: Klumpen. Gedichte und Poetologie. Berlin (Gans Verlag) 2023. 120 S. 24,00 Euro.
Zurück zum Seiteninhalt