Peter Salomon: Mylord
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Timo Brandt
Ein Kosmos schwuler
Wirklichkeiten
„Es gab noch keine Kontaktbörse im Internet, aberEs gab Schwulenlokale in denen DeutscheSchlagermusik gespielt wurde, die zusammenMit dem Alkohol ganz rührselig machte.“
In der Nachbemerkung von „Mylord“ führt Peter Salomon kurz
aus, was ihn dazu bewogen hat, eine Auswahl seiner Gedichte zu schwulen
Themen/mit schwulen Motiven im Rimbaud Verlag herauszubringen. Eigentlich
findet er das Etikett „schwul“ bei Gedichten eher befremdlich, doch im Hinblick
auf sein lyrisches Vermächtnis und die anthologiefixierten Strukturen des
heutigen Poesie-Marktes, erscheint ihm dieses Etikett und diese Ausgabe
notwendig.
In „Mylord“ sind sowohl Gedichte aus anderen Gedichtbänden,
als auch Gedichte, die bisher nur in Anthologien und Zeitschriften erschienen
sind, vertreten – sowie einige neue Gedichte. Ihr Entstehungszeitraum reicht
von 1972-2019, was auch die Bandbreite an unterschiedlichen Ansätzen erklärt.
Überwiegend sind es narrative Gedichte, die geradlinig von Ereignissen,
Erinnerungen oder Szenerien berichten, manchmal kurz und bündig, manchmal fein
atmosphärisch, ein paar wenige Male monologisch oder ausschweifend
kryptisch.
„Aufwachen, einer in den Armen des anderen –So lese ich in einem Gedicht überEine Liebe. Das war nie ein Wunsch von uns.Du mochtest es gerne, dass der Sex vorherAbgesprochen und dann so durchgeführt wurde.»Dann weiß ich wenigstens, was ich machen soll«.(Deswegen hast du es auch gerne mit Perversen getrieben).“
Als kleiner roter Faden zieht sich eine Liebesgeschichte durch einige Texte. Frank taucht bereits in den Gedichten der Siebziger Jahre auf, sein Name und die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit finden sich aber selbst in den allerneusten Gedichten wieder. Frank hatte, das legen die Texte nahe, ein Drogenproblem und ist vermutlich auch daran gestorben, ein Tod, der das lyrische Ich der Texte teilweise zu verfolgen scheint.
Ein weiterer roter Faden sind die Schicksale und Erlebnisse von Strichern, von denen Salomon erzählt und denen er in einer kurzen Reihe von Gedichten sogar jeweils eine Stimme verleiht. Oft geht es um ganz junge Männer, manchmal geblendet vom Glanz ihrer älteren Liebhaber, manchmal gänzlich desillusioniert.

„Sie stehen in der BahnhofshalleUnd verhandeln.Was soll ich machen?Und was zahlste?“
In den Gedichten, so unterschiedlich sie auch sein mögen,
zeigen sich viele konkrete Facetten schwulen Erlebens, einer schwulen
Wirklichkeit, von Heimlichtuerei und Zaghaftigkeit bis zu Themen wie
Pornographie und Prostitution. Es geht um Liebe und es geht um Geilheit, es
geht um Abhängigkeit und Schmerz, um Vorstellungs- und Gefühlswelten, aber
auffällig selten um „klassische“ Themen wie Selbstfindung oder Outing.
Und das macht diese Gedichte wohl, bei allen sonstigen
Qualitäten, so lesenswert: die Art wie sie ihre schwulen Thematiken nicht
krampfhaft zu vermitteln, nicht auf besondere Weise anzubringen versuchen, stattdessen
mit einer Selbstverständlichkeit und unspektakulären Direktheit vorliebnehmen,
die weder provozierend, noch erklärend sein will, sondern ganz bei sich bleibt
und sich dadurch auf ganz natürliche Art entfaltet.
Diese besondere Qualität und ihre vielen Spielarten machen
die Gedichte gleichsam zu schönen und zu eigenwilligen Gebilden. Eine ganze Welt
steckt darin, und doch sind es nur kurze Ausschnitte, ein paar Töne einer
größeren Melodie, reizvolle Anklänge. Bleibt zu hoffen, dass Etikette eines
Tages nicht mehr nötig sein werden, stattdessen jede*r jegliche
(einvernehmliche) Form von sexuellen Handlungen und/oder Verlangen (oder
Nichtverlangen) nicht als andere Lebensform, sondern schlicht als individuelle
Ausprägung begreifen kann und will.
„Am Lützowplatz an den Rasenrändern
Spielen zwei Boys mit riesigen Ständern.
Sie spielen »Lützows wilde Jagd«
Ein Wortspiel, das es in sich hat.
Heute versteht es niemand mehr
Man macht jetzt einfach Geschlechtsverkehr –“
Peter Salomon: Mylord. Gedichte. Aachen (Rimbaud Verlag) 2019.
40 Seiten. 20, 00 Euro.