Peter Salomon: Mylord (2)
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Stefan Hölscher
Lyrisch - schnörkellos – schwul
Gedichte erregen
heutzutage nicht dadurch Anstoß, dass sie sich offensichtlich auf schwule
Erlebnisse beziehen. Jedenfalls nicht in den Kreisen, in denen Gedichte in
unserer Gesellschaft überhaupt noch gelesen werden. Und sie erregen auch nicht
dadurch Anstoß, dass es in ihnen offensichtlich immer wieder auch um
Selbstbefriedigung, härteren Sex, Prostitution oder Drogen geht. Anstoß erregen
können die in dem Rimbaud Verlag herausgegebenen Gedichtband „Mylord“
versammelten „schwulen Gedichte“ von Peter Salomon allerdings durch ihre
Sprache und ihren Stil. Jedenfalls in den Kreisen, die die hohe Kunst der
Gegenwartslyrik – schreibend, lesend, verlegend, rezensierend – heute
zelebrieren: Salomons Gedichte sind nämlich so geraderaus, so klar und einfach,
so erzählend und so wenig komplex, dass sie für Leute, die sich im
sprachreflexiven und möglichst konstant erwartungsirritierenden Hardcore der
Gegenwartslyrik bewegen, geradezu als Zumutung oder lyrische Nullnummer
erscheinen könnten. Die Frage wäre dann gar nicht die von Peter Salomon selbst
in den „Nachbemerkungen“ der Sammlung angeschnittene, ob Gedichte eigentlich „schwul“
sein können, sondern diejenige, ob es sich bei diesen Texten überhaupt um „Gedichte“
handelt.
Und zu beiden Fragen ließen
sich gewiss recht tiefe Themenfässer aufmachen, wodurch man auf jeden Fall in
einen mentalen Modus käme, der ungefähr das Gegenteil von demjenigen wäre, der
Salomons Texte, die jedenfalls für mich die Attribute „schwul“ und „Gedicht“
gleichermaßen verdienen, beflügelt. Was hier das Besondere ist, ist gerade die auf
der inhaltsbezogenen wie der sprachlichen Ebene liegende Schnörkellosigkeit. So
selbstverständlich das lyrische Ich, das in diesem Fall vermutlich an vielen
Stellen dem Ich des Autors entspricht, über Phänomene eines schwulen Lebens
spricht, so unprätentiös und selbstverständlich zeigen sich die Gedichte in
ihrer Sprache und Gestalt. Und dieses Zusammenfinden inhaltlich-sprachlicher
Einfachheit, die aber weder kitschig noch trivial ist, macht die Stärke und
Authentizität der Gedichte Salomons aus.
Die in dem Band
versammelten Texte stammen aus den Jahren 1972 bis 2019. Sie decken also eine
große zeitliche Spannweite ab. Was sie eint, und was für Autor und Verleger
hier Grund und Kriterium des Zusammenführens war, sind die schwulen
Bezugspunkte. Nur einige der Gedichte sind neu und bisher unveröffentlicht
gewesen. Die Mehrzahl wurde bereits in anderen Gedichtbänden Salomons bzw. in
Anthologien publiziert. In seinen kurzen „Nachbemerkungen“ macht der Autor
deutlich, dass die am Kriterium der Entstehung orientierte Anordnung der Texte
in dem Sammelband alles andere als zwingend sei. Diesen Eindruck teile ich.
Allerdings finden sich so viele thematische Parallelen zwischen den Texten wie
auch eine so erstaunlich hohe stilistische Homogenität über die immerhin fünf
Jahrzehnte hinweg, aus denen die verschiedenen Gedichte stammen, dass die
Anordnung, so wie sie ist, durchaus passt.
Zu den immer wiederkehrenden
Referenzpunkten der Gedichte, gehört zum Beispiel: Frank.
Mal wieder was mit FrankO ich liebe esMorgens alleine aufzuwachen.Niemand ist da, derMeinen Sex mit Frank stören könnte.Auch er nicht!Ich bin jetzt Ende sechzig.Frank ist immer noch zweiundzwanzig –
Frank und Ludwig WittgensteinErinnern hat keinen Erlebnisinhalt.Wenn ich aus der Erinnerung sage„Vor einer halben Stunde habe ich ihn getroffen“Dann ist das nicht die Beschreibung eines gegenwärtigen Erlebnisses.Erinnerungserlebnisse sind etwas anderes.Zum Beispiel, wenn ich an Frank denke, 1978.Er trug Cowboystiefel, enge Bluejeans und einen grünen Nicky, bauchfrei.Er war fröhlich und sagte: „ich mache alles was du willst.“
Salomons Gedichte erzeugen
Bilder mit wenigen schlichten Worten. Sie öffnen die Phantasie des Lesenden
gerade da, wo sie sparsam sind. Und da, wo andere (schwule) Autoren deutlich
melancholisch würden, etwa wenn es um das Ende von Beziehungen, Krankheit, Alter
und Tod geht, bleiben Salomons Texte ganz lakonisch. Und berühren durch das,
was hinter dem Gesagten steht.
Nicht, weil eine
Rezension ja immer auch etwas Kritisches enthalten muss, sondern weil ich es
denn doch deutlich so erlebt habe: Ich finde die gerade mal 40 Seiten
umfassende Mylord Sammlung zu schmal. Ich hätte gerne mehr gelesen.
Peter Salomon: Mylord. Gedichte. Aachen (Rimbaud Verlag) 2019.
40 Seiten. 20, 00 Euro.