Peter Engel: In Erwartung der Zeichen
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Timo Brandt
Peter Engel: In Erwartung der Zeichen. Neue Gedichte. Niederstetten (Edition Hammer + Veilchen, Günther Emig) 2020. 98 Seiten. 12,00 Euro.
„Zurüstungen für die
Augenspeise“
„Die morgendliche Begegnungmit meinem Geheuer, unwirschschaut es mich aus dem Spiegel an,fletscht meine schadhaften Zähneund will mir ähnlich sein.Tatsächlich sehe ich ganzanders aus, wenn ich nach innenblicke, fehlt mir kein einziges Haar,die Mundfalte ist weggewischtund der Blick voller Morgen.
[…]Abends betrachte ich michvon innen und leiste mireinen satten Schluck Erinnerung,verarbeite sie sofort,dann das nicht abreißende Gesprächmit mir selbst bis in den Schlaf hinein.“
Das erste von sechs Kapiteln im neuen Gedichtband von Peter
Engel (der heute – am 10. November 2020 – seinen 80. Geburtstag feiert) ist dem
Verlauf eines Tages gewidmet, „Von morgens bis zum Abend hin“. Das lyrische Ich
erscheint hier als Beobachter und Kommentator des Alltags-Selbst, klettert
sozusagen der Ich-Warte, von der aus man die täglichen Ent-scheidungen trifft
und Verrichtungen vornimmt, aufs Dach (ein Kunststück, welches durch die Kunst,
hier das Schreiben, möglich wird).
Dies Dach ist ein gläsernes, und so hat das lyrische Ich
sowohl den Körper, aus dem es aufs Papier entwischst ist, als auch dessen
Aussicht im Blick (und ein bisschen spiegelt die Glasscheibe natürlich auch das
lyrische Ich wieder) und von dort aus beobachtet, ja studiert das lyrische Ich
das Verhältnis von Welt und Ich, von Ich und Körper, von Ich, Welt und
Ausdruck.
Während dieses Vorgangs gelingen Engel allerhand schöne
Beobachtungen, er hat ein Auge für die im Rausch der Tage und Zeiten
schwindenden Details und legt immer wieder eine banal-anmutende, in ihrer
Leichtigkeit aber wieder sehr eingängige Redseligkeit an den Tag, die über den
ganzen Gedichtband das charmante Portrait eines Geistes erzeugt, der gerne sich
und die Welt in der Schrift, in der Sprache zusammenführt, im Lustvollen wie im
Nachdenklichen.
„Lustlosigkeit nimmt die Gestalteines Balkongitters an,überzogen mit schmutzigemMoosgrün, das nach der Bürste schreit,aber niemals erhört wird.Nichts zu erwarten von diesem Tag,kein Flügelschlag, kein Lichtstrahl,er ereignet sich einfach nurund läuft ab von der Spulewie ein endloses Garn.“
Ein zentrales Motiv ist daher auch immer wieder die
Verschriftlichung des Lebens, das Leben mit dem Schreiben, der Vorgang des
Schreibens, die Schriftwerdung der Welt. Das Beschriebene/ Beschreibende wird
immer wieder zum Ausgleich erhoben, der ein Gleichgewicht zurückbringt, eine
Art natürliches Pendant zum Erleben bildet.
Im zweiten Kapitel ist das Wetter das bestimmende Motiv, im
dritten dann die Kunst, oder besser gesagt die Künstler*innen (womit bei Engel
vor allem Maler*innen und Autor*innen gemeint sind). Im vierten Kapitel widmen
sich die Gedichte Einzelphänomenen, bevor es im fünften und sechsten Kapitel
wieder um Malerei bzw. das Schreiben geht.
Die Malerei übt anscheinend eine besondere Faszination auf
Engel aus und bei den Gemäldebeschreibungen in manchen Gedichten fällt auf,
dass eine große Vertrautheit mit den Geschichten besteht, die die Bilder
erzählen, geradeso, als wären es Geschichten, die sich im eigenen Leben
ereignet haben oder zumindest sehr relevant für das Eigene sind. Diese
Vertrautheit ist ein schöner Zug, manchmal wirkt sie leider auch wie eine
gefällige Anwandlung.
„Er arbeitet am offenenHerzen der Wirklichkeitmit seiner weichen Waffe,einem Feinhaarpinsel“
Engels Gedichte enthalten einige gelungene Impressionen,
aber er setzt dieses Mittel eher sparsam ein. Ihm geht es, allem Anschein nach,
vor allem darum, Dinge zu verhandeln, nicht, sie zu illustrieren. Das lässt
manche seiner Texte in meinen Augen etwas geflissentlich erscheinen, sie
hinterlassen zwar einen Eindruck, aber erschüttern nicht, bringen wenig in
Bewegung.
Aber in dieser Unscheinbarkeit liegt auch eine große Stärke
von Engels Lyrik. Denn gerade weil sie eben ist, heben sich manche Details und
Bilder, manche Formulierungen und Ideen noch stärker ab, stechen hervor. Diese
Gelegenheit bleibt manchmal ungenutzt, aber in den besten Gedichten ist sie
meist präsent.
„Was vor Augen steht beim Blickin den neuen Tag, die Schriftder Dinge, die Spuren des Lichtsund die Fingerzeige der Sonneauf dem Malblock des Teppichs.“„Über das blitzende Wasserschießen die Schnellboote hin,überholen die lahme Zeitund sägen sich ihren Fortschrittdröhnend und stinkend aus der Luft.“
Vom Auge zur Schrift. In Erwartung der Zeichen gleitet der
Blick über die Welt (auch über die Innenwelt) und beschreibt sie dann mit
Zeichen, die adäquat erscheinen, die einkreisen, aufwerfen, antippen,
mitführen, umschreiben, was ursprünglich aus den Zeichen der Welt, fast ohne
Widerstand, in den Geist drang, Eindrücke, Gedanken und Erkenntnisse formte.
Peter Engels Lyrik lenkt das Augenmerk auf die täglichen
Prozesse des Weltwahrnehmens, des Gewahrwerdens, des Werdens im Angesicht der
Wahrheiten, die uns die Welt anträgt und über die wir verfügen können. Eine Art
dies zu tun, ist das Niederschreiben: sich schreibend dem zu nähern, dessen
Nähe vielleicht etwas bedeuten könnte.
„Es ist zäh und dauerhaft,das kleine Einmaleinsder Pläne, es ist klebrigund füllt die Stunden völlig aus,in der Ferne ein blitzblankerZettel, die Utopieeines selbstverständlichen Tags.“