Peter E. Gordon: Prekäres Glück – Adorno und die Quellen der Normativität
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Jan Kuhlbrodt
Peter Eli Gordon: Prekäres Glück –
Adorno und die Quellen der Normativität. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2019. Aus
dem Amerikanischen von Frank Lachmann. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2023. 470 Seiten.
38,00 Euro.
Wir befinden und derzeit (mal
wieder) in einem Zustand zerfallender Gewissheiten. Es scheint schwierig, sich
im Gewirr der Positionen zu orientieren. Auf der einen Seite erstarkt der
Antisemitismus, und auf der anderen Seite gehen Bewegungen, die man (oder
zumindest ich) für emanzipatorisch hielt, Allianzen mit totalitären Kräften
ein. Vernunft, so scheint es, ist heimatlos geworden.
Aber vielleicht war sie das ja
immer schon, denn im Moment ihrer Sesshaftigkeit entwickelt sie scheinbar
notwendig die Tendenz, sich gegen sich selbst in Stellung zu bringen.
Wie also soll es möglich sein,
unter den Bedingungen einer derartigen Ratio eine Moraltheorie zu entwickeln.
Der Kant‘sche Weg scheint nicht gangbar derzeit.
Peter E. Gordon hielt 2019 die
Frankfurter Adorno-Vorlesungen, die hier als Buch, also in gedruckter Form, und
mit dem für wissenschaftliche Texte Anmerkungsapparat vorliegen. Der Autor
positioniert Adornos Denken zwischen dem seiner Frankfurter Schüler und den Kritikern
Axel Honneth und Jürgen Habermas, wobei es vor allem Habermas' Kritik an Adorno
ist, formuliert in „Der philo-sophische Diskurs der Moderne“, aber auch in der
„Theorie des Kommunikativen Handelns“, die den Ausgangspunkt bildet für Gordons
Reformulierung Adorno‘scher Posi-tionen.
Letztlich ist Habermas‘ Adorno-Kritik
getragen von einem Vertrauen in die kommunikative Vernunft, die er irgendwo im
diskursiven Prozess etabliert sieht. Dieses Vertrauen scheint aber selbst bei
Habermas in letzter Zeit zu schwinden, betrachtet man seine letzten
Veröffent-lichungen und Statements, und macht einer gewissen Verbitterung Platz
angesichts der Weltlage und der zerstörerischen Kraft menschlichen Handels.
Gordon argumentiert nun mit Adorno
gegen diese Überwindung, dass jenes Vertrauen in die Vernunft letztlich
unvernünftig sei. Dass wir uns auf schwankendem Boden schwankend bewegen. Das
Mittel wäre immanente Kritik. „Wie können wir uns sicher sein, dass die Normen
oder Maßstäbe, die uns in unserer Kritik anleiten, nicht einfach falsche
Auswege sind, sondern ein echtes Versprechen auf Kontextüberschreitung oder
echte Veränderung in sich bergen?
Die Antwort auf diese Frage ist
ganz einfach die, dass wir nie mit absoluter Sicherheit beurteilen können, ob
solche Versprechen wahr sind, oder nicht.“
Gordon formuliert also hier mit
Adorno eine Art platonischen Ausgangspunkt, der im Grund der notwendigen
Ungewissheit Rechnung trägt.